Unter Korsaren verschollen
das?«
»Daß der Druck, den die Sklaverei auf die Menschen ausübt, endlich gebrochen werden muß, daß Menschen vom Schlage dieses Gravelli kein Recht haben, zu leben und Unheil zu säen. Deine Aufgabe ist noch nicht erfüllt, Luigi Parvisi – El-Fransi!«
Das Gesicht des Genuesen hat sich verfinstert. Er wehrt sich gegen die Worte des Freundes, so wie er sich seit der Rückkehr aus Algerien gegen Gedanken wehrt, die dasselbe besagen.
Sie werden ihn nicht mehr loslassen, denkt Pierre-Charles. Je länger und öfter sie ihn beschäftigen, um so besser wird er sie verstehen. Nicht stärker drängen im Augenblick. »Im übrigen«, nimmt de Vermont das Gespräch wieder auf, »ich bin nicht allein gekommen.
Monsieur Xavier de Vermont hat mich begleitet. Unsere Väter sind ebenso glücklich wie wir über das Wiedersehen.«
»Und das sagst du erst jetzt, Pierre-Charles! Ich kann dir einen Vorwurf nicht ersparen. – Komm, Selim, führe mich hinunter; ich muß den alten Herrn kennenlernen.«
Nein, Luigi Parvisis Aufgabe ist noch nicht erfüllt. Die Unterhaltung mit den beiden Franzosen zeigt es. Und sie haben recht. Aber das Unternehmen ist so riesig, daß der Mann, der einmal El-Fransi war, vor ihm zittert.
»Signore Antonelli aus Livorno bittet, dem Herrn seine Aufwartung machen zu dürfen«, meldet Gravellis Diener.
Der Bankier ist nur noch ein Schatten der einstigen alles stürmenden Kraft. Seit man ihm mitgeteilt hat, daß die »Parma« nicht in die Hände der Korsaren gefallen ist, weiß er, daß er sich in den Fängen des Herrn der Berge befindet. Er fühlt sich nicht stark genug, gegen diesen geheimnisumwobenen Mann anzugehen. Er vermutet… aber er läßt nicht einmal vor sich selber die Vermutung zu Worten werden. Auch jetzt nicht, da sich so vieles geändert hat. Die Summe für die »Parma« steht auf der Verlustseite. Mag sie stehen wie die vielen anderen. Seine führende Stellung auf dem genuesischen und sardinischen Geldmarkt ist längst gebrochen. Selbst kleine Betrügereien gelingen nicht mehr. Nur ehrliche Geschäfte, die meistens von seinem Sekretär angebahnt werden, werfen schmale Summen ab. Bettelgroschen für einen, der einmal nur in Riesenbeträgen dachte und mit solchen arbeitete.
Signore Antonelli, hinter dem der Herr der Berge steht, kommt regelmäßig wegen der beiden Beutel Gold, die schon hundertfach bezahlt sind.
Schleppenden Schrittes, tief gebückt, schleicht Gravelli zum Schrank, entnimmt ihm zwei bereitstehende Leder-säckchen, reicht sie dem Diener.
»Ich bedauere, den Herrn nicht empfangen zu können.
Gib ihm das.«
In vier Wochen wird der Bursche wieder erscheinen, zwei Beutel Gold für ein altes Geschäft fordernd. Vier Wochen hat man nun Ruhe. Sie ist nicht zu teuer damit erkauft. Und danach nochmals zwei Beutel, vier Wochen. Es werden die letzten sein. Das Geheimfach im Keller ist leer.
»Aus, mein Herr der Berge.« Der Bankier kichert.
»Aus, gänzlich ausgemolken die reiche Kuh. Kein Tröpfchen goldene Milch fließt mehr, und wenn du dir die Finger dabei wund drückst.«
Signore Antonelli, der fröhliche, lachende Mann, begegnet wie immer im Flur dem Sekretär Gravellis. Ein kaum sichtbares Kopfneigen, ein Augenzwinkern, die beiden Männer haben sich verstanden. Der Herr der Berge hat seinen Vertreter im Hause des Bankiers; er weiß von jedem Vorhaben und trifft entsprechende Maßnahmen. Aber einen schlagenden Beweis für Gravellis Verrätereien konnte man noch immer nicht finden.
Schon wieder klopft Camillo. Was gibt’s noch? Ist der unverschämte Kerl, der Antonelli, etwa nicht zufrieden?
»Signore Luigi Parvisi möchte eine Botschaft überbringen.«
Gravelli erbleicht.
»Schnell, Camillo, den anderen Rock, schnell, schnell!«
Des Bankiers Stimme zittert, wie der ganze Mann bebt.
Metall poltert auf Holz. Der Brillantring, den Gravelli anstecken wollte, ist den Fingern entglitten und auf die Tischplatte gefallen. »Darf ich nun den Herrn hereinbit-ten?« fragt der Diener. »Noch einen Augenblick, Camillo.« Er wischt Tröpfchen von der Stirn. »So, nun.«
Luigi Parvisi grüßt, verneigt sich zurückhaltend. »Herzlich willkommen, Luigi! Ich darf dich doch noch so nennen, den Spielgefährten Pietros. Nimm Platz, bitte, hier!«
Der Gast rührt sich nicht vom Fleck.
»Ich bin nur gekommen, einen Auftrag zu erledigen, der mir ganz besonders nahegelegt worden ist: Signore Benelli, der Ratgeber der Deys von Algier, läßt Sie grü-
ßen und bestellen, daß er
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