Unter Korsaren verschollen
immer an Sie denkt.«
Gravelli brüllt wie ein zu Tode getroffener Stier auf.
Die Augen scheinen aus den Höhlen springen zu wollen.
»Hinaus, hinaus!« faucht er Parvisi an.
Holz splittert. Der Bankier hat den Dolch, der zum An-spitzen der Federn auf dem Tisch liegt, auf Parvisi geschleudert. Die Waffe ist in den Türrahmen gefahren.
Nun liegt sie unschädlich auf dem Teppich.
Das Gebrüll ist nicht mehr menschlich. Luigi verläßt stumm das Zimmer. Er weiß, Agostino Gravelli befindet sich in den Fängen eines unerbittlichen Würgers.
Stunden später verstummen plötzlich die Gespräche in der »Osteria del mare« am Hafen. Die Würfel poltern noch einmal über den Tisch, dann ist Ruhe. Alle Hälse recken sich nach der Tür, durch die ein Mensch getreten ist, der hier noch nie Gast war. Er scheint total betrunken zu sein, anders hätte er sicherlich auch den Schritt nicht an einen solchen Ort gelenkt.
»Wein!« fordert er vom Wirt. »Da!« Eine gut gefüllte Börse fliegt über die Köpfe der Gevattern Fischer, Hafenarbeiter, Seeleute, Handwerker nach der Theke.
Goldstücke, Münzen, die hier nur selten einmal gewechselt werden; etwas anderes als die kümmerlichen Centesimi, mit denen die Gevattern ihre Zechen bezahlen. Der Wirt prüft sorgfältig mit den Zähnen. Echtes, gutes Gold. Erst jetzt betrachtet er sich den Gast näher.
Er stutzt. Das ist ja Gravelli, der Bankier!
Gerade stößt er einen Fischer vom Stuhl, hockt sich selbst an den Tisch. Sinnlos betrunken? Man sollte es annehmen, aber Gravellis Atem ist frei von Alkohol.
Und der Mann spricht irres, wirres Zeug, das keiner zu deuten weiß: »Benelli – Mustapha – Algier – Dey –
,Astra’ – Parvisi – Pietro«; Namen, die die Menschen aufmerken lassen. Aber man findet keine Zusammenhänge.
Wie ein Verdurstender stürzt sich der Bankier auf die Neige Wein des Nachbarn, reißt dann ein weiteres Glas eines Fischers an sich und leert es auf einen Zug.
Wieder murmelt er: »Benelli – ,Astra’.« Und wieder, aber nun schreiend. Dann vergräbt er den Kopf in die Arme und verharrt eine Zeitlang in dieser Stellung.
Plötzlich springt er auf. In den Augen irrlichtert es. Aus einem Beutel klirren Goldstücke zu Boden. Gravelli stößt sie mit den Füßen fort. »Hahaha, Gold, Gold! –
Benelli – ,Astra’!« grölt er und torkelt davon.
Niemand folgt dem Irren; man kämpft um den Schatz, den er so achtlos verstreut hat.
»Wo ist mein Herr, der Bankier Gravelli?« übertönt ei-ne Stimme den wüsten Lärm und die Schlägerei um das Geld. Camillo hat die Spur des Herrn bis hierher verfolgt.
Keine Antwort.
»He, Leute, war der Bankier Gravelli hier?« fragt Camillo wieder. »Fort.« Der Wirt gibt die Auskunft.
»Kaum einige Minuten ist es her.«
»Wohin?« Ein Achselzucken.
An der Tür stößt der alte Diener mit einem Hafenarbeiter zusammen. »Hast du den Bankier Gravelli gesehen, Freund?«
»Kenne ich nicht. Laß mich vorbei!« Er versucht an Camillo vorbeizukommen, aber der packt ihn am Rock.
»Hier, nimm!« Eine Münze gleitet in die Hand des Arbeiters. »Komm mit mir, meinen Herrn suchen. Alt, langer weißer Bart, torkelt, spricht unverständliches Zeug.
Er ist krank, schwer krank.«
»Ein solcher Mann ist mir begegnet«, bestätigt der Hafenarbeiter. »Er ging den Alten Hafendamm entlang.«
»Um Gottes willen! Schnell, schnell, Freund!«
Die beiden Männer rennen fort.
»Dort ist er!« Der Hafenarbeiter zeigt auf einen tau-melnden Mann, der plötzlich stehenbleibt, die Arme schlenkert und dann weiterhetzt. Wieder bleibt er stehen, dreht sich um, hastet weiter.
Camillo läuft, als gälte es das Leben. Sein Begleiter hat Mühe, dem Alten zu folgen. Man wird den Kranken einholen. Die Entfernung ist nicht mehr groß.
»Signore Gravelli! Wartet!« Der Ruf erreicht den Bankier. Er steht. Jetzt sehen ihn die anderen nicht, da ein Stapel Waren ihn verdeckt. Als die beiden den Damm wieder überblicken können, da ist er – leer.
Später erzählt ein Fischer, dessen Barke in der Nähe lag, daß sich ein Mann mit einem Aufschrei, der wie
»Astra« klang, in die Fluten gestürzt habe.
»So reich. Bedauerlich dieser Unglücksfall«, sagen einige der Gäste der Hafenkneipe.
Andere zucken nur mit den Achseln. Die Sache berührt sie nicht. Jeder Mensch muß sterben. Der eine im Bett, vielen von ihnen wird vielleicht das Meer zum Grab werden. Lassen wir es.
Sie wenden sich wieder Fragen zu, die sie und ihr Leben betreffen.
Noch
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