Unter Korsaren verschollen
sich dahinter einer meiner Leute.«
Der Mann hat diese Erklärungen schnell und flüchtig gegeben. Es liegt ihm nichts daran, von sich zu sprechen.
»Halt, eine Bitte habe ich«, wendet er sich an Parvisi.
»Darf ich heute nacht Gravellis Boten in deinem Wagen an die Straßenkreuzung bringen? Er ist durch ein Schlaf-mittel im Wein betäubt. Aus Gründen der Sicherheit des Besitzers dieses Anwesens ist es notwendig, daß der Mann nicht erfährt, wo er sich befunden hat. So büßt er auch weniger Zeit ein. – Ah, herein!«
Bett und leckeres Abendessen werden gebracht.
»Guten Appetit, Freunde, und gute Nacht!« Giacomo tritt auf Parvisi zu, umarmt und küßt ihn. »Lieber Andrea.« Mehr sagt er nicht. Ein kurzes freundliches Nik-ken zu de Vermont, und der Herr der Berge ist verschwunden.
MANN IM WASSER
Xavier de Vermont ist nach Marseille zurückgekehrt.
Trotz längerer Abwesenheit sind keine Stockungen und Schwierigkeiten in seinen Geschäften aufgetreten. Einige Privatbriefe müssen beantwortet werden; alles un-wichtige Angelegenheiten, für deren verspätete Erledi-gung eine liebenswürdige Entschuldigung genügen wird.
Eine einzige bedeutungsvolle Sache befand sich unter dem Poststapel: Bericht aus La Calle von Pierre-Charles.
Einen Tag nach der Abreise nach Genua ist das Schreiben eingegangen. Ein Tag lag dazwischen, ein ereignis-reicher Tag.
Der Franzose ist Geschäftsmann, zugleich aber ein hochgebildeter, phantasiebegabter Mensch. Pierre-Charles berichtet klar und sachlich, Kleinigkeiten, Einzelheiten, die zum Schluß einen buntschillernden Teppich ergeben. Dem Vater werden die nüchternen Worte des Sohnes zum Erlebnis.
So war es geschehen:
Im Bug der französischen Fregatte »Toulon« stehen zwei Reisende.
Sie erfreuen sich am Spiel der Wellen und an den Flug-künsten der Möwen.
»Du, Pierre-Charles, ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich auf La Calle freue«, schwärmt der jüngere der Männer, der sicherlich noch keine zwanzig Jahre zählt.
»La Calle?« der andere lacht auf. »Langsam, mein Lieber! Hast du dir die Landkarte noch nicht angesehen?
Mit La Calle wirst du dich noch gedulden müssen. Wir werden in Kürze Ceuta anlaufen, dann uns noch Atlan-tikwind in Tanger um die Nase fächeln lassen, ehe es entlang der Barbareskenküste nach Bona und La Calle geht. Also Geduld, Roger!«
»Ich hab’ sie! – Ich glaube, deine Beschreibung bleibt noch hinter der Wirklichkeit der Schönheiten, die es dort unten zu bewundern gibt, zurück. Auf afrikanischem Boden zu leben; es muß herrlich sein! Und für all das werde ich eines Tages dir und deinem Vater danken müssen.«
Was soll dem Jungen auf diese Überschwenglichkeit entgegnet werden? Man hat ihn aus dem Verwaltungs-dienst in Marseille zur praktischen Arbeit in der Korallenfischerei versetzt. Gut, der Vater tat es, weil die Fern-sehnsucht des jungen Angestellten manchen Vorteil für das Ganze erhoffen läßt und weil er ein Verwandter der de Vermonts ist, den man fördern will. Davon aber Auf-hebens zu machen, ist müßig. Arbeite, junger Vetter, dann dankst du genug. – Doch das sagt er nicht so.
Pierre-Charles de Vermont, das ist der vollständige Name des älteren der beiden Männer, hebt das Glas, senkt es, setzt es erneut an. Roger de la Vigne, sein Vetter, blickt nun ebenfalls in die gleiche Richtung. Er sieht nur eine leichtbewegte, unbegrenzte Fläche Wassers.
Und doch muß es etwas geben. Zu angestrengt und verbissen mustert Pierre-Charles die Wogen. »Lauf schnell zum Kapitän, Roger! Wracktrümmer links vor uns.«
»Was?« fragt de la Vigne dumm zurück.
»Mach schon! Wirst es noch zeitig genug erfahren, was sie bedeuten. Augenblicklich weiß ich es auch noch nicht.«
Der Vetter stürzt davon.
»Ausguck, Wracktrümmer links gemeldet!« unterrichtet gleich darauf der Schiffsführer den Mann im Mastkorb. »Großsegel brassen! Halbe Fahrt!« befiehlt er.
De la Vigne zappelt vor Aufregung, als er wieder neben Pierre-Charles steht. »Wie spannend! Ein Abenteuer auf See.«
»Ach was. Da, nimm das Glas. Es sind nur ein paar Planken, nichts von Bedeutung. Vielleicht irgendwo im Sturm von einem Schiff abgesprengt und, wer weiß, schon tagelang im Wasser. Wollte man jeder solchen Begegnung einen übermäßigen Wert beimessen, dann käme man aus der Spannung nie heraus.«
»Warum tun wir es dann?«
»Hast recht, Roger. Manchmal steckt auch mehr hinter solchem Treibgut. Deshalb muß man es untersuchen.«
Der junge Franzose
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