Unter Korsaren verschollen
Benedetto Mezzo, müßte, wenn deine Nachrichten stimmen, im Lager sein.«
»Auf einhundert Sklaven kommen fast ebenso viele Wächter.« De Vermont ist gut unterrichtet. -
Damals, beim Morgengrauen, hatten zwei Segler auf der Höhe von Sidi Feruch gelegen; der Korsar und der zusammengeflickte Genuese.
Dem Korsarenkapitän war vor Antritt der Piratenfahrt von höchster Stelle Anweisung zugegangen, zwischen Nacht und Tag mit der Beute an diesem Platz zu sein.
Könne er die festgesetzte Stunde nicht einhalten, möge er außer Sichtweite der Küste bis zum anderen Morgen kreuzen und dann zurückkehren.
Er ist pünktlich zur Stelle. Was weiter?
Der Schwarzbärtige ist gespannt. Mit dem Glas sucht er das Ufer ab.
Soeben hebt sich die Sonnenkrone über den östlichen Horizont. Es ist, als habe ein Zauberstab die Erde berührt und verwandelt. Überall flammt und blitzt es auf. Mit jedem Augenblick ändern sich die Farben. Als ob Fesseln gesprengt wären, so scheint sich alles zu dehnen und zu strecken. Die an den herrlichen breiten Strand, der in makelloser Weiße glitzert und gleißt, spülenden Wogen jauchzen auf, überspringen Hindernisse. Manche versprühen, andere sinken erschöpft mit gurgelndem Laut zurück. Im Osten ragt eine kleine Kalkhalbinsel in die Bucht. Das auf ihr stehende Fort mit dem vierecki-gen Turm – Torretta Chica – scheint in Flammen zu stehen.
Auf dem Piratenschiff gibt es keinen Menschen, der diesem gewaltigen Geschehen auch nur einen Blick schenkt.
Am Strand regt es sich. Reiter sind herangesprengt. Einige schwenken große weiße Fahnen oder Tücher. Ein Mann springt vom Pferd, steigt ins Boot, das, von kräftigen Ruderschlägen getrieben, auf den Korsaren zuhält.
»Allah sei gepriesen!« grüßt der Ankömmling. Der Schwarzbärtige dankt und sieht den Besucher fragend an. Ohne sich vorzustellen, entledigt sich der Fremde seines Auftrags:
»Saduk ben Abdullah, ich komme, um den Kapitän der
,Astra’ und die Parvisis zu holen.«
»Der Kapitän, die Frau und das Kind stehen zu deiner Verfügung. Der Mann ist tot«, entgegnet der Korsarenreis. Der Unbekannte hatte sich hinlänglich ausgewiesen, die Worte gebraucht, die derjenige sprechen werde, dem vertraut werden soll.
»Die restlichen Gefangenen«, fährt der Fremde, ungerührt ob des Todes des Mannes, den er übernehmen sollte, fort, »übergib meinen Leuten. – Dort!« Er weist mit einer Kopfbewegung hinüber ans Ufer.
Die Übergabe der Personen vollzieht sich reibungslos.
Kapitän Civone ist zwar verwundet, aber unter dem grausamen Blick des Reis’ verflüchtigt sich die Schwä-
che, die er in jedem Glied des Körpers spürt. Der Kapitän eines gekaperten Schiffes gehört immer dem Dey.
Jetzt kommt man also, ihn zu holen. Widerstand ist zwecklos. Raffaela Parvisi befolgt die Befehle mechanisch. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Von der lebensprühenden, schelmischen Frau verblieb nichts als ein fahler Schatten. Nur eins noch gibt es für die Un-glückliche, eins, um das all ihre Gedanken, ihre Liebe, alles, was das Herz einer Mutter zu geben bereit ist, kreisen: Livio. Und da sich das Kind an ihrer Seite befindet, verängstigt, verstört zwar, ist sie selber ruhig.
Reis Saduk ben Abdullah hatte sofort nach dem Kampf strengste Anweisung erlassen, die Frau und das Kind nicht zu belästigen. Nicht aus eigenem Antrieb, schon gar nicht aus Mitleid geschah es, sondern weil ihm der Tod angedroht worden war, wenn einem der Parvisis auch nur ein Härchen auf dem Kopf gekrümmt werde. Er ist weit davon entfernt, über eine solche Drohung zu lächeln, zweifelt keinen Augenblick daran, daß sie buch-stäblich wahr gemacht würde, wenn er nicht blindlings gehorchte. Mit den Herren in Algier ist nicht zu spaßen, mit ihm – er wagt den Namen nicht einmal zu denken –
gleich gar nicht. Hoffentlich legt man es ihm, dem Kapitän des Raubschiffes, nicht schief aus, daß Parvisi im Kampf getötet wurde.
Saduk ben Abdullah schickt den vielen Stoßgebeten, die er in den letzten Stunden zu Allah hinauf gesandt hat, ein weiteres nach. Der kühne, furchtlose, unbarmherzige Korsar zittert und bangt um sein Leben, das in der Hand eines Mannes in Algier liegt. Wenn dieser Furchtbare befiehlt, kann selbst der Dey nicht die Ausführung des Todesurteils verhindern.
Auf die übrigen Gefangenen der »Astra« wird keinerlei Rücksicht genommen. Man pfercht sie in den Booten zusammen, daß sie fast übereinanderliegen müssen.
Manche der
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