Unter Korsaren verschollen
wird seine Meinung von dem hohen geldlichen Wert des Bildes aber, als er Pierre-Charles das Ergebnis der Nachforschungen mitteilt.
»Laß gut sein, Freund«, der Franzose lacht, »ich denke nicht daran, einen großen Betrag für ein mir noch unbekanntes, vielleicht gänzlich wertloses Blatt Papier aus-zugeben. Es ist zwar bekannt, daß die Sammler eine Sache manchmal viel zu hoch einschätzen, sich sogar zugrunde richten dabei – ich tue es nicht.«
Hätte Simeon die Zeichnung gebracht, wäre wider-spruchslos ein angemessener Betrag bezahlt worden, schon um Luigi mit dem Bild zu erfreuen. Die Frage danach und der Auftrag, nach der Skizze zu suchen, sind ja nur Vorwand gewesen, etwas über die Menschen zu erfahren, die sich nach dem Kampf noch auf dem Kauffahrteischiff befunden haben. Das ist gelungen, das Bild also nicht unbedingt mehr nötig.
Verschiedentlich hatte der Franzose in den Kaffeehäusern das Gespräch so geführt, daß es auf die »Astra«
kommen mußte. Grundlegend Neues ist aus den Erzählungen nicht zu entnehmen gewesen. Raffaela Parvisi ist tot, darüber sind sich alle einig. Ein Anfall von Schwer-mut oder Wahnsinn sei es gewesen. Sie habe sich vom Garten der Kasbah, dem Aufenthaltsort der Frauen des Deys, heruntergestürzt. Ein Vermögen sei dem Türken dadurch verlorengegangen. Was hätte die Frau an Lösegeld bringen können!
Die Menschen der »Astra« sind von Geheimnissen umwittert. Hoffentlich kann man eines Tages alle Schleier lüften. Schon die Übernahme in Sidi Feruch ist ungewöhnlich gewesen. Wer steckt dahinter?
Im Augenblick muß die Kenntnis genügen, daß der kleine Livio dem Bey von Titterie zum Geschenk gemacht worden ist. Daran kann man sich halten.
Zurück nach La Calle!
Von einem Mann namens Benelli, den der Bankier Gravelli Renegat nannte, weiß de Vermont nichts.
Der Italiener Benelli war vom Christentum zum Islam übergetreten. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er, Abenteurer, Ruheloser, Machtgieriger, satanische Freude daran hat, in das Leben friedliebender Menschen und Staaten verheerend einzugreifen. Wie zu den beseitigten Herrschern, so nimmt er auch zu dem neuen Dey Omar Pascha eine eigenartige Stellung ein. Ohne offiziell ein Staatsamt auszuüben, geht vieles durch seine Hände. Er verkehrt in der Kasbah, wie es ihm paßt. Manch hoher Beamte zittert beim Anblick Mustaphas – unter diesem Namen ist Benelli in Algier bekannt. Nicht einmal die Konsuln durchschauen diesen Mann; sie wissen auch nicht, ob er Türke, Araber oder Maure ist. Auf jeden Fall ist er gefährlich, ein fähiger Kopf, der sich mit jedem in seiner Muttersprache unterhalten kann, wenn er will. Er bewohnt ein altes kleines Haus in der Nähe der Burg, in das einzutreten bisher nur wenigen gelang. Den Gelehrten Mustapha nennt ihn das Volk, da es nichts anderes von dem schweigsamen Mann weiß, als daß er meistens über alte Schriften gebeugt sitzt, dann wieder für Wochen und Monate verreist. Er lebt eben ganz seinen Studien. Wo immer Handschriften oder alte Bücher, gleich in welcher Sprache sie geschrieben sein mögen, gefunden oder angeboten werden, da erscheint binnen kurzem ein Abgesandter des Gelehrten, um den Fund für seinen Herrn zu erwerben; er bezahlt mehr, als alle anderen zu geben bereit wären. Sollte ein glücklicher Käufer nicht bereit sein, sich von seiner Erwerbung wieder zu trennen, dann verfügt Mustapha ja über nette, kleine Mittel, die unbedingt zum Erfolg führen. Ihm in die Quere zu kommen, bemühen sich die Händler gar nicht erst; sie würden nur einbüßen dabei.
Mustapha-Benelli weiß von allem in Algier.
SKLAVE
Pierre-Charles de Vermont schließt soeben seinen Bericht über die Nachforschungen in der Hauptstadt ab.
Über der ganzen ,Astra’-Angelegenheit schwebt, will mir scheinen, ein geheimnisvolles Dunkel. Daß man das Schiff ohne Menschen in Algier einbrachte, war völlig ungewöhnlich.«
»Aber waren denn wirklich alle, bis auf Raffaela und Livio, tot?« fragt Parvisi erneut, obwohl der Freund alle Einzelheiten, soweit sie ihm bekannt geworden, mitgeteilt hatte.
»Die einen behaupten es, andere wollen wissen, daß man die Gefangenen in die Felizia-Berge zu Scheik Osman gebracht habe. Unser Agent stimmt der zweiten Ansicht zu, obwohl auch er nichts Genaues weiß.«
»Felizia-Berge? Wo sind die?«
»Einige Tagereisen südlich von Algier.«
»Du kennst sie?«
»Ja.«
»Ist es möglich, von dort jemand zu befreien? Der alte Diener unseres Hauses,
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