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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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Omar blickt nicht zurück. Er fühlt nichts, denkt nichts als: Der Freund ist in Gefahr!
    Eine Felsnase versperrt den Weg. Er kann nicht weiter.
    Und der Freund ist in Gefahr!
    »Zu Hilfe – Achmed – Omar!« Matt, gequält, aus ein-geengter Brust kommt der Ruf. Und die Namen der Freunde nennt er. Erinnert er sich nur noch an sie?
    »Wo bist du, Ali? Ich komme!«
    Keine Antwort. Oder übertönt das rasend schlagende Herz alle Worte? Doch nein, da flackert es wieder zerrissen heran: »In – der – Spalte. Und du?«
    »Unterhalb der Felsnase. Ich kann nicht weiter.« Keine Antwort. »Ali, Ali! Warum schweigst du? Bist du verletzt?«
    Furchtbar dieses Warten, bis der Freund wieder genug Kraft zum Sprechen hat. Ein Wort nur ist es diesmal:
    »Eingeklemmt.«
    »Wie kann ich zu dir gelangen? Ich sehe dich nicht.«
    »Nach – rechts – zurück – vorsichtig.«
    Die Warnung ist berechtigt, der Weg außerordentlich gefährlich. Jeder Schritt fordert ein genaues Abtasten der Wand. Wird der Fuß feststehen, die Hand sich genügend festkrallen können?
    Das Hemd des Jungen ist zum Auswringen naß. Angst und Überanstrengung treiben ihm den Schweiß in Bä-
    chen von der Stirn. Aber Ali muß gerettet werden. Ali, sein Freund.
    Omar hat den Platz erreicht, von dem aus Ali rief und winkte. Ein kleines Stück aus dem Sims ist herausgebro-chen, ist für den Freund zum Unglück geworden.
    Unter ihm ein schmaler Spalt, gerade so breit, daß er Ali wie mit einer Klammer umfängt. Er kann sich nicht rühren, nicht die Beine anziehen, sich nicht mit Knien und Rücken emporstemmen. Festgekeilt. Ohne fremde Hilfe kann der Verunglückte nicht heraus.
    Aber der Helfer ist ja da: Omar.
    Hinlegen auf dem kaum körperbreiten Rand, die Hand ausstrecken, den Freund herausziehen. Alles ist nur noch eine Kleinigkeit.
    Omars Zähne schlagen in unsäglicher Angst aufeinander, als er sich niederläßt, sich auf die Arme stützt, die Füße zurückschiebt. Jetzt liegt er auf dem Bauch. Zur Rechten der grausige Absturz.
    Er streckt den Arm aus. Wie ein vom Winde bewegtes Blatt zittert die Hand.
    Nur wenige Zentimeter fehlen, um Ali erreichen zu können. Eine Handbreit nur!
    Gerettet und doch gefangen! Es darf nicht sein! Umsonst alle Anstrengung, alle Angst, die so riesenhaft war.
    »Ich kann dich nicht erreichen, Ali!«
    Die Breite einer Kinderhand liegt zwischen Erfolg und Mißerfolg.
    Vergeblich das wahnwitzige Unternehmen, vergeblich die Angst, die die Kräfte aufgefressen hat?
    Verwundert blickt Ali empor. Etwas Nasses ist ihm auf die Stirn getropft. Tränen. Omar heult vor Wut und Enttäuschung.
    »Einen Strick müßte man haben«, murmelt Ali. »Natürlich. Aber wer soll ihn heraufbringen? Kein Erwachsener kann in die Mauer einsteigen. Wir sind klein und leicht, unsere Hände und Füße finden Halt. Ein zweites Mal bringe ich den Aufstieg nicht fertig. Ich kann auch nicht mehr zurück, Ali. – Lieber Ali!«
    »Zieh dein Hemd aus. Wirf es herunter. Nein, zerreiß es, mach einen Strick daraus. Aber schnell, ich kann nicht mehr stehen; meine Füße sind eingepreßt.«
    Das Hemd ausziehen? »Heilige Mutter Gottes, hilf!«
    Worte in einer fremden Sprache sind es. Für Ali unverständlich, von Omar ohne Wissen darum gesprochen.
    Gesprochen in der Muttersprache, mit dem Namen Gottes, nicht Allahs.
    »Daß ich nicht daran gedacht habe!« Das ist wieder Arabisch, die Sprache, die dem Jungen nun schon zur Gewohnheit geworden ist.
    »Hier, Ali!« Der morsche Stoff ist auseinandergerissen, notdürftig zu einem Strick gedreht worden, den Omar jetzt hinunterläßt. Hoffentlich hält er das Gewicht aus.
    Das einzige Hemd, das Omar besitzt. Nun wird er nackt oder vielleicht mit irgendeinem Lumpen bekleidet umherlaufen müssen. Ein Lump, ein Bettler, wieder dem Spott aller preisgegeben. Aber es geschah ja für Ali, für den Freund.
    »Kannst – du – das Ende – irgendwo – festmachen?«
    »Ja. Und zur Sicherheit halte ich noch mit.«
    »Kann – ich…?«
    »Komm!«
    Ein knisterndes Geräusch. Omars Augen scheinen aus den Höhlen zu springen, der Mund ist vor Schreck weit geöffnet. Der Stoff gibt nach! Er will schreien, den Freund warnen. Es geht nicht. Kein Wort kommt über die Lippen. Unmöglich, den Blick von der Stelle zu wenden, wo nur noch dünne Fäden den Strick zusam-menhalten. Jetzt… Zerrissen! »Omar!«
    Die Hände des Freundes liegen auf dem Rand des Simses. Vor Omar der Abgrund. Er erkennt nicht, was um ihn geschieht. Wieder fremde

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