Unter Korsaren verschollen
Laute: »Gott, Gott!« Dann umfängt ihn dunkle Nacht.
Was war? Was ist? Wo ist er?
Ein warmer, lebender Körper preßt sich an Omar, um-schlingt ihn. Der Freund ist gerettet, er selbst in höchster Gefahr, von dem luftigen Sitz abzustürzen.
»Halt mich, Ali! Ganz fest. Ich sehe nichts mehr.«
»Keine Angst, es kann dir nichts geschehen. Wir ruhen erst einmal aus!«
»Ali – Omar!«
Das ist Achmeds Stimme. Heiser vor Anstrengung und doch jubelnd in Freude.
Pferde sind herangejagt. Der kleine Neger hatte den langen Weg ins Dorf im Laufschritt zurückgelegt. Konnte gerade noch die ersten Hütten erreichen, die furchtbare Kunde von dem Unglück hinausschreien und war dann erschöpft zusammengesunken.
Alarm! Die Menschen rannten umher, trieben Pferde zusammen, suchten Stricke hervor. Alis Vater nahm Achmed vor sich in den Sattel, und fort ging es im Galopp. Andere folgten.
»Bleibt ruhig sitzen! Nicht bewegen! Wir kommen von der anderen Seite!« ruft Alis Vater den Jungen zu. Die abgehetzten Tiere werden nochmals angetrieben. Wie der Staub unter ihren Hufen aufwirbelt! »Sie kommen von oben!« ruft Ali freudig. »Geht es dir besser?«
»Ja, Ali. Viel besser!« Omar will den Freund nicht ängstigen. Dabei zittert er an allen Gliedern.
Achmed war abgesetzt worden. Er wendet kein Auge von den Freunden, so, als könne er damit eine Mauer um sie ziehen, die ein Abstürzen unmöglich macht. Weitere Dorfbewohner sind inzwischen angelangt.
Stumm harren sie des Fortgangs der Rettung. Wenn es Allahs Wille ist, werden die Kinder aus der gefährlichen Lage befreit – wenn es Allahs Wille ist, werden sie in Kürze in die Seligkeiten des Himmels eingehen.
Alis Ohr vernimmt Stimmen. Das ist der Vater. »Paßt auf, der Strick!«
Der Strick, die Rettung. Ein ganz gewöhnlicher Strick, aus Palmfasern geflochten und doch kostbar, wert, Menschen vom Tode zu erretten.
»Halt!« ruft der Junge hinauf, als sich der Anfang des Seils wie eine Schlange in seinem Schoß zusammenge-ringelt hat. »Ganz still halten, Omar. Ich binde dich fest.«
»Nein, nein, Ali! Zuerst du.«
»Keine Widerrede. – So. Aber du mußt dich festhalten.
Nur ein kurzes Stück ist es. Nimm dich zusammen. Mit den Beinen von der Wand abdrücken, damit dein nackter Körper nicht zerschunden wird und du dich nicht drehst.«
»Und du?«
»Ich komme dann. Sorge dich nicht um mich. – Zieht an! – Langsam!«
Omar schwebt empor. Jetzt ist der Kopf schon verschwunden, nun der Leib, die nackten Füße.
So werden die beiden Kinder gerettet.
Wie durch einen Schleier sieht Omar, daß man ihn auf ein Pferd hebt, spürt, daß sich kräftige Arme um ihn schlingen. Ein großer schwarzer Bart streicht ihm manchmal ins Gesicht. Einen solchen Bart – oh, das ist der Vater seines Feindes Mahmud!
So liegen bis in alle Ewigkeit, es wäre unendliches Glück. In den starken Armen eines Vaters geborgen zu sein, nichts Schöneres kann es auf Erden geben.
Tage vergehen, bis Omar wiederhergestellt ist. In diesen Tagen hat sich die Welt verändert, ein ganz anderes Gesicht angenommen.
Als er die Augen nach dem Zusammenbruch, der alles Erinnern an Früheres ausgelöscht hat, aufschlug, da fanden sie nicht die nackten Wände der Hütte der Pflege-mutter. Nicht viel anders sahen sie aus wie im alten Zu-hause, und doch war alles neu, ungewohnt. An seinem Lager saß Ali. Die besorgten Mienen des Freundes hatten sich aufgehellt, als er das Erwachen seines Retters bemerkte.
Der Fremdling Omar hat eine neue Heimat gefunden.
Er gehört nun zur Familie des Freundes, ist nicht mehr ausgestoßen, ist ein vollwertiges Glied der Dorfgemeinschaft der Uxeire geworden.
Omar ist der Held. Obgleich er nur einen Teil, allerdings den größten, zur Rettung Alis beigetragen hat, haben sein Mut und die Nichtachtung des eigenen Lebens den Menschen gezeigt, daß er ihrer Achtung und Liebe wert ist. Selbst der gehässige Marabut, der Lehrer, wagt nicht, den Jungen zu rügen. Er hat auch keinen Grund dazu. Omar lernt fleißig, ist willig, aufmerksam; auch die Sprache hat sich schon abgeschliffen.
Im übrigen: Weder Ali noch Omar klettern noch. Das so glücklich verhütete Unglück hat ihnen gezeigt, daß solches Tun nichts für Kinder ist.
Oft vergleichen die Dörfler ihn, Omar, mit El-Fransi.
Wer mag das sein? Ein Fremder, wie der Name besagt.
Freilich, auch er, Omar, ist ein Fremder. Aber was hat es mit El-Fransi auf sich, und weshalb vergleicht man ihn mit ihm.
»Ach, du weißt es
Weitere Kostenlose Bücher