Unter Korsaren verschollen
Rückfall in die Um-nachtung?
»Hör zu, Luigi! Meine Abreise ändert nichts an der Aufgabe, das Kind zu finden. Ich wünsche keinen Dank; denn wir sind Freunde fürs Leben. Was dich bedrückt, läßt auch mich nicht ungerührt. Ich hätte nicht geruht und gerastet, das Leben eingesetzt, um euch, Livio und dir, zu helfen, und würde es heute noch tun, wenn die Krankheit mich nicht gänzlich unfähig dazu gemacht hätte. Jetzt könnte ich nur noch ein Stein im Wege sein, ein Hindernis, trotz allen guten Willens. Was ich noch tun kann, habe ich getan. Ich war bei Selim und habe mit ihm beraten. Der liebe Kerl wollte mich nach Frankreich begleiten. Ich habe abgelehnt. Du hast in den letzten Wochen gelernt, wie man sich in den Bergen, auf den Ebenen und in der Wüste zu verhalten hat; du weißt, wie ich mit den Menschen verkehrte, und so glaube ich, daß du in Zukunft El-Fransi, der Fremde, der Freund der Eingeborenen sein kannst.« Ein Blitz zuckt aus Parvisis so müde gewordenen Augen.
»Ich – El-Fransi? Du spottest. Hahaha. Ich soll El-Fransi sein!«
»Lache nicht, Luigi. Ich weiß, was ich rede. Es muß sein; das ist die einzige Möglichkeit, um deinen Sohn zu retten. Selim wird dir zur Seite stehen. Er wird dir in gleicher Liebe und Treue anhängen wie mir.«
»Natürlich muß es sein, Pierre-Charles. Was sollte sonst aus Livio werden, wenn ich die Hände in den Schoß legte und wartete, bis er mir in die Arme liefe?
Aber: Du und ich, welch ein Unterschied!«
»Mit der Zeit wirst du dich einleben.«
»Zeit, Zeit! Bis ich wirklich soweit bin, ganz du, das heißt El-Fransi, zu sein, was kann mit dem Kind inzwischen geschehen? Jeden Tag gibt es so viel Furchtbares auf der Welt. Wird es an meinem Sohn in seiner gefährlichen Lage bei den Korsaren vorübergehen? Ich fürchte jede Stunde, jede Minute für ihn. Oh, Pierre-Charles!«
Der Franzose weiß auf diese gequälten Worte des un-glücklichen Freundes nichts Tröstendes, Beruhigendes zu erwidern.
»Vielleicht nähert sich gerade in dieser Minute das Unheil Livio – und ich bin nicht bei ihm. Wohin soll ich eilen, wo ihn suchen?«
»Das sind unsinnige Gedanken, Luigi. Wirf sie von dir!
Niemals mehr darfst du ähnliches denken. Es lähmt den Mut, alle Entschlossenheit, ja, wenn man in deinem Sinne weiterdenken würde, führte es nur dazu, daß du wirklich zu spät kämest. Es ist aber doch ganz anders in der Welt. Der Wille entscheidet viel. Du willst Livio befreien. Wenn der Glaube schon Berge versetzen kann, was wird dann erst ein unbändiger Wille zuwege bringen, El-Fransi?«
»Du hast recht wie immer. Ich hoffe, den Namen El-Fransi, der durch dich so großen Glanz erhalten hat, in Ehren tragen zu können.«
Der neue El-Fransi jagt mit seinem Schatten Selim durch die Regentschaft. Heute ist er hier, morgen schon wieder an einem anderen Ort. Wortkarg ist er geworden; früher war er viel gesprächiger, finden die Eingeborenen.
Man nimmt es nicht übel; denn in allen anderen Dingen ist er wie eh und je.
Stundenlang sitzt er oft mit den Männern zusammen, beteiligt sich selten an der Unterhaltung, während Selim viel erzählt, sich nach den Sorgen und Nöten, die im Dorf herrschen, erkundigt. Manchmal steht El-Fransi mitten im Gespräch auf und ergreift die Waffe… Wenn sich das Geschoß gelöst hat, wissen die Menschen, daß ihnen wieder einmal geholfen wurde.
In einem allerdings unterscheidet sich der Gast seit dem letzten Besuch vor Jahren: Er wohnt den Schulstunden bei, spielt mit den Kindern, läßt sie an kleinen Jagdausflügen teilnehmen, kurz, er ist ein großer Kinderfreund geworden. Kein Wunder, daß das junge Volk darauf schwört, in El-Fransi den mutigsten Jäger ganz Afrikas zum Freund zu haben. -
Ein Kreis drängender Jungen hat sich um Parvisi gesammelt. Man bestürmt ihn, Jagdabenteuer zu erzählen.
Lächelnd kommt er dem Wunsch nach, berichtet Wahres und Erdichtetes. Je mehr er erzählt, um so unerbittlicher wird die Schar. Immer weiter, El-Fransi!
»Noch das, dann aber Schluß für heute. Einverstanden?« fragt er seine kleinen Freunde.
»Ja.« Die Kinder strahlen. Erst einmal das versproche-ne Abenteuer anhören, dann wird man den Guten von neuem bestürmen, und er wird sich erweichen lassen und noch eins und ein zweites dazugeben.
Die Pantherjagd mit Pierre-Charles und den drei Mauren will er noch erzählen.
Da kommt doch Selim! Was ist geschehen? Der Neger eilt heran.
Ob…? Aber Luigi wagt nicht, den kühnen Gedanken zu
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