Unter Korsaren verschollen
dorthin.
Selims beruhigende, mahnende, bittende Worte streifen das Ohr des Freundes. Mehr nicht. Die Umwelt ist versunken in einem Nebelschleier, aus dem nur das Gesicht Livios als strahlende Sonne heraustritt, zurückweicht, lockt.
Vergessen die wieder schmerzende Wunde.
Vorwärts! Ohne Rast zum Hafen.
Durch Schluchten und ausgetrocknete Wadis, durch schäumende, reißende Flüsse, auf schwindelnden Pfaden an den Berghängen entlang, durch wüste Ländereien.
Parvisi reitet, wie er nie zuvor geritten ist, nachtwandle-risch sicher.
Diesem Mann kann nichts geschehen, denkt der Neger.
Ein Steinschlag ist niedergegangen, der Weg versperrt.
Selim kann auch bei Anwendung aller reiterischen Künste nie mit Luigi auf gleicher Höhe bleiben. Immer ist ein Abstand von einigen fünfzig Metern zwischen ihnen.
Die Sperre! Der Neger hat aus großer Entfernung das Hindernis erkannt. Parvisi jagt darauf zu.
»El-Fransi!« gellt Selims Stimme durch die Schlucht.
Zur rechten Zeit. Der Reiter hebt sich im Sattel, erleichtert das rasende Tier. Ein Schnalzen, ein Schenkeldruck
– das Pferd schießt in mächtigem Sprung über meterho-he Steinbrocken.
»Allah sei Dank!« In diesem Augenblick der Angst und Not dankt der Neger dem früher verehrten Gott.
El-Fransi reitet weiter. Das Hindernis ist glücklich überwunden. »Allah!« Noch einmal schreit der Schwarze auf.
Was ist hinter der fast mannshohen Mauer, die auf ihn zuzufliegen scheint?
Da ist er angekommen. Er gibt dem Pferd Hilfe. Hin-
über!
Etliche dreißig Meter dahinter liegt der Freund am Boden. Neben ihm das Pferd.
Gestürzt. Das Tier röchelt. Es kann nicht mehr. Zu groß waren die Anstrengungen der letzten Tage.
Der Neger zittert an allen Gliedern, wankt, als er zu Boden gleitet, muß sich am Riemenzeug des Tieres festhalten.
Hat alles Suchen, haben alle Mühen hier ihr Ende gefunden? Ist der Freund… tot?
Augenblicke verstreichen, bis Selim den Schwächeanfall überwunden hat. Dann macht er, zusammengesunken, ein alter Mann, den Furcht umklammert hat, die paar Schritte zu dem Gestürzten.
Noch ist Leben in El-Fransi! An der Stirn eine tiefe klaffende Wunde. Ungefährlich. Glücklicherweise ist der Verunglückte auf die rechte Seite gefallen, so daß die verletzte linke Schulter nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Stunden gewonnen, Tage verloren.
Das Tier, das mitten im Lauf zusammengebrochen war, muß erschossen werden.
Endlich kann man weiterreiten, aber nur langsam, im Schritt. Selim hat den Freund vor sich im Sattel. Wie eine Mutter ihr Kind, so drückt er den Gebrochenen an sich.
Das im nächsten Dorf eingehandelte Reittier trottet un-belastet nebenher. Parvisi ist unfähig, allein zu reiten.
Und La Calle ist noch weit entfernt!
IN DER HEIMAT
Pietro hat das erste bedeutende Geschäft in Wien abgeschlossen. Gut so, ausgezeichnet. Das Eis ist gebrochen.
Nun wird es aufwärtsgehen. Er schreibt, daß man ihm in der letzten Zeit viel aufgeschlossener entgegengekommen sei. Es wäre ja auch zu eigenartig gewesen, wenn das große Haus Gravelli unbeachtet bliebe. Jetzt wird Schlag um Schlag geführt, um die Verluste durch große Gewinne auszugleichen.
Auf dem Kopfsteinpflaster vor Gravellis Fenstern rasselt eine vierspännige Kutsche heran. Hält. Der Bankier hört es, kümmert sich aber nicht darum. Ein Mann ent-steigt ihr. Es befinden sich noch weitere Reisende in dem Gefährt; denn der Ausgestiegene reißt abschied-nehmend den breitrandigen Hut vom Kopf und grüßt mit einer tiefen Verbeugung. Eine Hand winkt aus dem Wa-geninnern einen Dank.
Der Fremde steigt langsam die Freitreppe zum prunk-vollen Haus Gravellis empor.
»Signore Antonelli? Ich lasse bitten!« beantwortet der Bankier die Frage des Dieners, ob der Herr willens sei, den Besucher zu empfangen. Antonelli, der Geschäftsfreund aus Livorno, kommt wie gerufen. Mit ihm läßt sich die große Sache ausführen, die Gravelli seit einigen Tagen vorschwebt. Der Alte ist mir nicht gewachsen, stellt er selbstzufrieden fest. Sein Reichtum übertrifft den Wert seiner selbst um ein Vielfaches. Mit Hochachtung aber muß man ihm begegnen.
Der jetzt eintritt, ist kein alter Mann, einer in den besten Jahren, strotzend von Gesundheit und guter Laune. Das ist nicht Antonelli aus Livorno. Jedoch, Antonelli ist ein weitverbreiteter Name. Der Fremde ist nun einmal da.
Vielleicht hat auch er Gewinnbringendes zu bieten.
Während der Besucher sich umständlich in dem ange-botenen Sessel
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