Unter Korsaren verschollen
nicht einmal die Einkaufspreise, decken nicht die Spesen, lassen die riesigen Bestechungsgelder außer Ansatz, die gegeben worden sind, um den Markt gefügig zu machen, ganz zu schweigen von dem Zinsverlust. Seit vielen Monaten sind gewaltige Summen festgelegt, mit denen nicht gearbeitet, das heißt kein Gewinn gemacht werden konnte.
Gravelli knickt die Feder auseinander, wirft die beiden Teile zu Boden. Er wagt es nicht, den erträumten Gewinn auf die in letzter Zeit so oft benutzte Verlustseite seines Hauptbuches einzutragen. Er schreckt zurück vor der Wahrheit, die ihm jede Zeile entgegenschleudert: daß er zahlen muß für alles Unheil, das sein raffgieriger Geist den Menschen angetan hat.
Die Börse wird in wenigen Minuten beginnen.
Ohne ihn.
Das ist Eingeständnis von Furcht und Schrecken. Agostino Gravelli, der Beherrscher der Börse, hat nicht die Kraft, den anderen Kaufleuten Genuas gegenüberzutre-ten. Heute nicht, morgen! entschuldigt er seine Feigheit.
Ja, morgen. Bestimmt morgen, denn das Haus Gravelli ist trotz allem noch nicht entmachtet.
Er gibt seinem Sekretär Anweisung, der Börsensitzung beizuwohnen. »Mein Herr ist verhindert, ein großes Geschäft, Sie wissen, meine Herren, eins, wie es die Börse Genuas nicht bieten kann.« Das soll der Vertreter unter dem Siegel der Verschwiegenheit einem der Krämer – es sind ja alles nur Krämer, halbe Hungerleider, die anderen – zu verstehen geben. Noch vor Börsenschluß werden dann alle Kenntnis von dem Geheimnis haben und Gravellischen Geschäften geneigt sein. Manchmal bringen solche Mätzchen viel ein. Warum soll es nicht heute der Fall sein? Einmal oben, einmal unten. Unten war er eben, bleibt also als nächstes nur das Oben. Es kann gar nicht anders sein.
Ein wenig beruhigt geht Gravelli hinüber in seine Pri-vatgemächer in dem kleinen Haus; trotzdem bleibt seine Laune ausgesprochen schlecht. Camillo hat es bald heraus; denn er kann ihm nichts recht machen, obwohl er das gleiche tut wie jeden Tag. Selbst die Fliege an der Wand stört.
Glücklicherweise wird der Diener nicht lange benötigt.
Er kann sich entfernen.
Auf dem Flur hört er Tritte. Es kommt jemand. Sofort ist der Alte wie umgewandelt. Gravellis Nörgeleien hatten auch ihn zornig gemacht, zornig auf den Herrn. Nun aber ist er der ergebene Diener, der Wächter, der Beschützer des Bankiers. Wer wagt es, bis hierher, und dazu noch ohne seine, Camillos, Begleitung, vorzudrin-gen? Etwa…? Den Alten fröstelt es. Wenn der unheimliche Gast, dieser Ben…! Um Gottes willen, den Namen nicht denken oder gar aussprechen! Die Furcht Camillos vor dem Renegaten ist größer noch als vor seinem Herrn und Meister.
Es ist nur der Sekretär. Der hat gerade noch gefehlt.
Böses braut sich zusammen.
»Mann, bleiben Sie außer Sichtweite!« versucht er den von der Börse Zurückgekommenen vom Privatzimmer des Bankiers abzudrängen. »Ist Signore Gravelli drinnen?« fragt der Aufgeregte.
»Ja, aber Ihr dürft ihn keinesfalls stören. Es könnte Euch die Stellung kosten«, warnt der Diener eindring-lich.
»Ach was, seid nicht so albern, Alter!« Und schon versucht der junge Mann zur Tür zu gelangen.
Flinker, als man es in seinen Jahren erwarten kann, ist Camillo vor die Tür gehuscht. Nun steht er, Wächter mit weit ausgebreiteten Armen, da.
»Ich muß zu ihm!« Das ist bestimmt und scharf gesprochen. Es kommt zu einem lauten, hitzigen Wortgefecht.
Schon setzt der Sekretär an, sich den Weg mit Gewalt zu bahnen, als die Tür aufgeht.
Gravelli steht im Türrahmen. Die Augen des Bankiers sprühen Wut, Zorn und Haß. Camillo sackt zusammen, macht sich klein, um das zu erwartende Unwetter über sich hinwegbrausen zu lassen.
»Was gibt es?« Die Stimme des Hausherrn ist Vorbote einer kommenden Explosion, gleich einem Vulkanaus-bruch, der unbarmherzig vernichtet.
Dem jungen Mann hat es die Rede verschlagen. Er kennt Gravelli erst wenig, weiß aber, wie gefährlich es ist, mit ihm in Streit zu kommen. Er war dann immer ganz leise gewesen, wie ein Raubtier auf Samtpfoten.
Jetzt brüllt er. Wenn man nur der Warnung Camillos gefolgt wäre, denkt er.
»Redet!« Wie ein Dolchstoß trifft der Befehl den Sekretär. »Redet!« Nochmals die Aufforderung. Hat Gravelli die Hand dabei zum Schlag erhoben? Später weiß es der Angestellte nicht mehr, will es auch nicht wissen.
»Eine große Neuigkeit, Herr. Die ganze Börse steht kopf!« bringt er endlich hervor. Ganz anders wollte er die Nachricht
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