Unter Korsaren verschollen
Dinge Bahnen geht, die ihm unangenehm sind, daß sich das Schicksal gegen ihn wendet.
Sein geheimes Tagebuch liegt aufgeschlagen vor ihm.
Eine neue Eintragung ist fällig: Zwei weitere Beutel Gold müssen auf die Verlustseite gebucht werden.
Immer nur Verluste, gegen die die Gewinne nichts sind
– Läppereien. Zornig rutscht der Zeigefinger von Eintragung zu Eintragung. Es hat angefangen mit der Zahlung, nein, dem Geschenk an Benelli. Dumm war er, unfaßbar dumm, diesem Schuft noch Geld, und gleich eine solche Summe, nachzuwerfen. Über die großen Minusposten im Zusammenhang mit dem Wiener Geschäft geht er
schnell hinweg. Hier ist der Schlußstrich noch nicht gezogen. Nach Pietros zuversichtlichem Brief zu urteilen, werden sie wettgemacht werden. Es folgt die Aufgabe der Grundstücke. Diese Scharte wird man vielleicht auswetzen können. Sie ist bös, hat gezeigt, daß mit der Größe der Pläne die Gefahr im gleichen Verhältnis wächst. Ein Kaufmann muß immer damit rechnen, heute oben und morgen unten zu sein, ohne die Nerven und den Mut zu verlieren. Hat er diese Nerven noch? Gravelli weicht aus, stiert auf die nächste Reihe, Wut steigt hoch. Die »Parma« hat ein gewaltiges Loch gerissen. Es wäre noch zu verschmerzen, wenn nicht etwas anderes dahinterstünde: Einige Genueser Kaufleute wissen, daß der Großbankier Agostino Gravelli mit den Korsaren im Bunde ist. Zweifel sind unmöglich. Man hatte der »Parma« Waren mitgegeben, die als unverkäuflich in den Lagern gelegen hatten, wahrscheinlich schon als Ver-lustposten in den Büchern standen. Man ist das Opfer eines klugen Planes geworden.
»Ich habe sie gekauft, ich, ich!« Krebsrot ist das Gesicht plötzlich. Der Mann, der manchen Zusammenbruch verschuldete, hat durch die unselige Bindung mit dem Dey Konkurrenten reich und fett gemacht.
Und – und – und – Seite um Seite weist das Hauptbuch nichts als Fehlschläge auf. Der in Genua verbliebene Teil seines ehemals riesigen Vermögens ist bis auf kleine Reste aufgebraucht. Und nun heute das Gold!
Wenigstens ein Gewinn kann verzeichnet werden: Pietros Erfolg in Wien.
Ja, Wien. Dort ist die Rettung zu finden. Genua ist feindlich gesinnt. Man müßte endlich hier alle Zelte ab-brechen, nur eine kleine Niederlassung einrichten. Aber da ist Benellis Warnung, die Drohung. Doch diesem Gegner wird eines Tages, wie seinem sauberen Herrn, das Handwerk gelegt werden. Man hat die Piratereien des Deys auf dem Wiener Kongreß zur Sprache gebracht. Soll sich Europa nun endlich gegen den Tyrannen entscheiden. Mit ihm fällt dann auch der Renegat.
Zu verdienen ist nichts mehr mit Algier, nur alles zu verlieren. Dazu aber ist Gravelli nicht bereit.
Mit einer Flucht nach Wien wäre man zugleich dem anderen, dem Herrn der Berge entschlüpft. Er ist mächtig, der Strauchdieb, der Wegelagerer, aber seine Macht reicht nicht über die Berge im Norden der Stadt hinaus.
Lassen wir Parvisi in Zukunft in Ruhe, dann hat der Geheimnisvolle keinen Grund, sich an mir zu reiben.
Es bleibt bei einer Übersiedlung nach Wien. Vielleicht schon bald. Pietro wird sich freuen. Und dann wird die Kaiserstadt aufhorchen müssen, wird die Waffen strek-ken vor dem Großbankier aus Genua.
Er holt das Schreiben des Sohnes und die Abrech-nungsunterlagen, die noch nicht geprüft sind, herbei.
Wir sind noch nicht am Ende mit unserer finanziellen Kraft. Jetzt kommen gesunde Posten ins Hauptbuch.
»Zum Teufel!« knirscht er. »Kann ich nicht mehr rechnen?« Er zählt erneut zusammen. Benelli – der Herr der Berge – Benelli – der Maskierte – Benelli – haben diese beiden sich in Zahlen verwandelt? Nein, die Zahlen und Ziffern stehen gerade ausgerichtet, fein säuberlich geschrieben auf dem Papier. Aber sie fügen sich am Ende nicht zu der Summe zusammen, die sein muß, um die ersten großen Wiener Abschlüsse nicht zu Verlusten werden zu lassen.
Die Gegner narren, grinsen, drohen.
Dem Rechnenden stehen Schweißperlen auf der Stirn.
Er legt den Kopf auf den Arm, schließt die Augen. Benelli – der Herr der Berge. »Hilfe, Hilfe.«
Der Aufschrei wird Linderung. Mit schmerzendem Kopf beginnt er von neuem. Es bleibt dabei: Aus dem vermeintlichen Gewinn ist ein Verlust geworden. Wo ist der Fehler? Nichts als falsche Rechnung kann es sein, niemals ein echtes Minus. Liegt es an Pietro oder hier in Genua, daß es zu dem Fehler gekommen ist? Nur hier, es kann nicht anders sein, darf nicht.
Die Preise, die in Wien erzielt wurden, sind
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