Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
vergessen. „So etwas Dummes“, murmle ich. „Ich muss mich einfach verzählt haben.“
„Wer weiß, ob sie kommt“, sagt Fran und starrt sehnsuchtsvoll auf seinen Teller.
„Sie kann meine Vorspeise haben“, meint Vesna. „Ich habe nicht viel Hunger.“
So kenne ich meine Freundin gar nicht. Beim Kochen, so ist mir zumindest vorgekommen, war sie schon wieder besser gelaunt, aber jetzt …
„Hirschschinken habe ich noch genug“, überlege ich, hole einen leeren Teller, nehme etwas von meinem Salat und lege ihn darauf.
„Nicht bloß du, wir wollen gerecht sein“, sagt Jana. „Jeder gibt einen Löffel Salat her.“
Und so wird es dann auch gemacht. Carmen kommt, gerade als die anderen ihre Vorspeise aufgegessen haben. Es tue ihr fürchterlich leid, sie sei aufgehalten worden. Man muss zugeben, sie sieht hinreißend aus. Schmal geschnittene khakifarbene Leinenhose, ein schwarzes ausgeschnittenes T-Shirt mit einem roten türkischen Halbmond drauf. Die kurzen blonden Haare gerade so struppig, dass sie wirken wie aus einem edlen Frisurenjournal. Fran sieht sie bewundernd an. Vesnas Kinder und Carmen haben einander bisher nur kurz getroffen und auch das ist schon lang her. Carmen küsst ihren Vater und meint: „Du hast abgenommen, oder? Du bist viel zu attraktiv für einen Juristen, Oskar.“ Ihn „Papa“ oder so zu nennen, wäre uns allen, nachdem sich die beiden ja erst im Erwachsenenalter kennengelernt haben, seltsam vorgekommen. Carmen weiß jedenfalls, wie einfach es ist, Männer zu umgarnen. Oskar strahlt und murmelt etwas wie, dass er, wenn überhaupt, nur ein wenig an Gewicht verloren habe, jedenfalls sei sie es, die großartig aussehe. Oskar hat kein Gramm abgenommen. Objektiv betrachtet würde es ihm gar nicht schaden, zehn Kilo zu verlieren. Dann wär er endlich wieder einmal unter der magischen Hundertermarke. Okay, er ist eins vierundneunzig groß, aber trotzdem. Wir werden reihum geküsst, schließlich entdeckt Carmen ihren Teller und für eine Zeit lang gibt sie Ruhe. Eins muss man ihr lassen: Sie ist eine begeisterte und keinesfalls zimperliche Esserin. Wird sie von Oskar geerbt haben.
Ich stelle einen großen Topf mit Wasser auf. Die reifen Melanzani schneide ich in ganz kleine Würfel und brate sie in Olivenöl an. Ich rühre immer wieder um, die Würfelchen beginnen sich aufzulösen, das sollen sie auch. Jetzt sechs große Zehen Bio-Knoblauch, natürlich nicht aus China, in feine Scheibchen schneiden und daruntermischen.
Carmen kommt und sieht mir interessiert zu. „Willst du weiterrühren?“, frage ich. „Wie war es in der Türkei?“
„Superinteressant“, antwortet sie, nimmt den Kochlöffel und rührt die Melanzani um. „Auch wenn die Regierungspartei leider was anderes will, die Türkei ist ziemlich modern. Und Istanbul ist eine Weltstadt, da kann Wien einpacken. Und Zürich sowieso.“ In der Nähe von Zürich ist Carmen aufgewachsen.
Ich salze das kochende Wasser kräftig, es wallt auf, und sofort lege ich die Linguini ein. Ein halbes Kilo sollte als Zwischengang genügen.
„Du hast versucht, mich zu erreichen. Du schreibst an einer Energie-Serie, nicht wahr?“, fragt Oskars hübsche Tochter.
„Ja. Ich wollte ein Interview mit Hohenfels machen, es ist gar nicht so leicht, an die Chefs von ‚Pure Energy‘ ranzukommen. Und da du mir ja schon bei Gruber geholfen …“
„Was hältst du von Gruber?“, unterbricht mich Carmen. Will sie ablenken?
„Er ist verschwunden, hast du schon davon gehört?“ Ich habe das Gefühl, wir umschleichen einander. Ist Carmen etwa nur deswegen so spät gekommen, weil sie das Management auf ein Treffen mit mir und Vesnas Zwillingen vorbereiten wollte? Unsinn. Sie ist keine Spionin. Und: Was gäbe es schon zu erfahren? Was ich mir denke, kann man ohnehin im „Magazin“ lesen. – Zumindest in der Form, die nicht klagbar ist.
Carmen rührt konzentriert in der Melanzanisauce. „Riecht großartig.“
Ich schneide inzwischen einen Berg Basilikum in Streifen. Sie müssen nicht einmal besonders fein sein.
„Ich finde Gruber ziemlich unangenehm. Vor allem, wenn er etwas getrunken hat“, sagt Carmen dann unvermittelt. „Er redet sehr viel Blödsinn und er bläst sich auf wie ein Frosch im Blazer … Ich glaube, im Unternehmen wollen sie ihn loswerden. Aber er hat einflussreiche Freunde.“
„Wenn er verschwunden ist, hat sich dieses Problem wohl gelöst“, überlege ich. Vorausgesetzt, man wollte ihn bei „Pure Energy“
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