Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
wirklich loswerden.
„Er wird ein paar Tage untergetaucht sein. Das hat er angeblich schon öfter gemacht, erzählen sie jedenfalls bei ‚Pure Energy‘. Er trinkt, bis er nicht mehr kann, und wenn er nüchtern ist, kommt er wieder.“
Zwei Minuten brauchen die Nudeln noch. Auch wenn es spannend ist, was Carmen weiß: Das Abendessen sollte nicht darunter leiden. Ich koste die Melanzanisauce, verbrenne mir die Lippe, salze kräftig und drehe die Platte ab. Auf Pfeffer und Ähnliches kann ich verzichten, frisch geschnittenes Basilikum hat ein wunderbar würziges Aroma.
„Woher kennst du dich bei den hohen Herrn von ‚Pure Energy‘ so gut aus? Ist das nicht ungewöhnlich für eine Praktikantin?“, frage ich so unbefangen wie möglich und starre dabei auf meine Nudeln. Das Abtropfsieb und darunter eine große Schüssel stehen schon bereit.
„Erstens bin ich eine Praktikantin mit zwei abgeschlossenen Studien und einem dritten, das ich fast fertig habe. Und zweitens: Es gibt dort auch nette Typen. Hohenfels zum Beispiel.“
„Ah?“, sage ich.
„Na ja“, antwortet Carmen und ich habe das Gefühl, als ähnelte dieses Küchengespräch einigen, die ich vor vielen Jahren mit meiner Mutter geführt habe. „Er ist total nett. Und so zivilisiert. Sag Oskar nichts davon, dem würde das nicht passen. Und man muss ihn ja nicht unnötig aufregen.“
Genau so habe ich immer argumentiert, wenn ich einen eher zwielichtigen Jungen sehr, sehr nett gefunden habe.
„Er ist schon ein bisschen älter“, fährt Carmen fort, die offenbar glücklich ist, jemandem ihr Herz ausschütten zu können. „Aber er ist echt jung geblieben. Und topfit. Wir lachen eine Menge miteinander. Er ist einfach … wunderbar. Trotzdem: Wer weiß, wie lang das gut geht.“
Ja, wer weiß. Er ist Mitte fünfzig. Ich sage es aber nicht. Carmen ist irgendwie rührend. Und offenkundig verliebt. Es ist nicht so, wie Gruber schmierig gemeint hat: Die werde eben ihre Vorteile aus der Verbindung schlagen. – Und jetzt habe ich doch glatt den Wecker für das Nudelwasser überhört. Ich packe den Topf mit zwei Lappen, gieße das Wasser durch das Sieb in die große Schüssel. So ist sie gleich vorgewärmt. Wasser aus der Schüssel raus, gut abgetropfte Nudeln hinein. Basilikum unter die Melanzanisauce mischen, alles über die Nudeln schütten.
„Du nimmst die Nudelteller“, sage ich zu Carmen.
„Danke“, antwortet sie und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Der war, glaube ich, nicht fürs Tellertragendürfen.
„Findest du es wirklich toll, bei ‚Pure Energy‘ zu arbeiten?“, fragt Fran, als er sich zum zweiten Mal bedient. Er sagt es allerdings mit einem reizenden Lächeln. Wenn eine Frau so hübsch ist, kann sie kein ganz schlechter Mensch sein, scheint er sich zu denken.
„Es ist ein super Praktikum“, erwidert Carmen. „Alt werden möchte ich dort nicht.“ Das hat sie mir vor geraumer Zeit auch schon gesagt.
„Und warum nicht?“, will Jana wissen.
„Weil ich nicht unbedingt auf die großen Energiekonzerne stehe. Habt ihr ‚Blut gegen Öl‘ gelesen? So schlimm ist ‚Pure Energy‘ natürlich nicht, sie investieren auch viel in Windparks und Solarkraftwerke. Aber ihre internationale Linie dürfte die sein, dass man eben das tut, was am meisten Geld bringt.“
Fran ist entwaffnet. „Hast du etwas von dem mitgekriegt, was bei uns in den letzten Tagen gelaufen ist?“
Carmen schüttelt den Kopf. „Nicht wirklich viel.“
„‚Pure Energy‘ spielt da eine ziemlich miese Rolle“, erklärt Jana, die sich naturgemäß von Carmens äußeren Werten nicht so leicht beeindrucken lässt. „Ich hab da übrigens etwas über Gruber auf YouTube gefunden, das ziemlich interessant ist.“
Carmen runzelt die Stirn. „Dir ist klar, dass ich den auch nicht ausstehen kann, oder?“
„Na, umso besser. Dann würde ich mit ihm aber auch nicht arbeiten“, kommt es zurück.
„Schon vergessen? Ich mach dort bloß ein Praktikum. Und er ist der Über-drüber-Chefberater.“
„Kennst du eigentlich Zemlinsky?“, fällt mir ein.
Carmen sieht mich an und schüttelt dann langsam den Kopf. „Ich denke, nicht. Aber mir kommt vor, ich hab den Namen schon irgendwo gehört.“
„Er ist Parlamentarier, Vorsitzender des Energieausschusses.“
„Er ist von ‚Pure Energy‘ gekauft worden“, ergänzt Jana.
„Und ich bin wohl für alles verantwortlich, was bei ‚Pure Energy‘ läuft!“, faucht Oskars Tochter. „Ich kenne den Typen nicht und
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