Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Informationen, denen sie gehören: der Öffentlichkeit. Wir bereichern uns nicht – wir kämpfen gegen die Ausbeutung des Volks und der Umwelt. Wir herrschen nicht – wir sind die bisher Unterdrückten.“
Robin Hood und Superman waren Waisenkinder gegen diese Internethelden. Aufrufe zu neuen Picknicks gibt es keine. Haben sie doch Angst bekommen, sich in der realen Welt zu zeigen?
Den Rest des Tags habe ich allerdings keine Zeit mehr für solche Gedanken. Heute ist Redaktionsschluss. Wegen eines Inserats sind meine zwei Seiten jetzt auf eineinhalb geschrumpft. „Ist es zufällig eines von ‚Pure Energy‘, von ‚AE‘, oder zumindest von einer Tankstellenkette?“, habe ich meinen Chefredakteur angefaucht. Ich sollte eigentlich wissen, dass wir keine themenverwandten Inserate auf eine Reportageseite stellen, war die Antwort. Das Inserat bewerbe ein neues Fünfsterne-Wellnesshotel.
Ich beginne meine Story mit der Schilderung eines netten Dorffests. Beinahe alle – mit Ausnahme einiger Windkraftgegner – sind glücklich. Und dann fliegt eine Gasdruckleitung in die Luft. Nur wenige Kilometer entfernt. Ich habe bloß für ein großes Bild Platz. Es zeigt die mächtigen Rotorblätter eines Windrads, dahinter die hohe Flamme. „Wo ist Ex-Vizekanzler Gruber?“, title ich und erzähle einiges über die Gegensätze zwischen Umweltaktivisten und dem Lobbyisten der Energiebranche. Dazu als kleines Foto die erhängte Sexpuppe auf dem Hochspannungsmast. Wenn man nicht ganz genau hinsieht, könnte man denken, dort baumle ein Mensch.
Das Wochenende beginnt beschaulich. Ich verziehe mich nach einem ausgiebigen Frühstück mit einem Buch auf das Sofa, Gismo legt sich zu mir. Oskar schmökert in den Zeitungen und liest mir das eine oder andere vor. Nichts hat mit Energiepolitik zu tun. Sieht so aus, als gönnten sich auch „Pure Energy“ und „Cybersolar“ einen freien Tag. Vesna holt Valentin vom Flughafen ab, danach wollen sie ins Burgenland. Auf ihre Frage, ob ich joggen war, antworte ich bloß träge, dass man auch Pausen brauche.
Am Sonntag erreicht mich eine eigenartige Massen-E-Mail: „Party mit Knall in Loidesbach! Um Mitternacht auf dem Friedhof.“ Der Absender: „Cyberfriends“. Ich versuche auf die E-Mail zu antworten, die Nachricht ist nicht zustellbar. In Loidesbach ist die größte Gasstation Österreichs. Von dort aus wird das Gas, das aus Russland und anderen Staaten im Osten kommt, verteilt und in verschiedene Ecken Europas weitergeschickt. Woher haben die „Cyberfriends“ meine Adresse? „Cybersolar“ bin ich auf Facebook nicht beigetreten, dass „Cyberfriends“ etwas mit denen zu tun haben, ist naheliegend. Reicht es, dass ich ihre Seite aufgerufen habe? Haben sie sich sonst irgendwie meine E-Mail-Adresse besorgt? Ich rufe Fran an.
„Ich habe das auch bekommen. Die Sache mit dem Absender ist ziemlich geschickt gebaut, so viel kann ich sagen, ich hab ihn nicht herausgekriegt.“ Aber dass sie an meine Adresse kommen, weil ich auf ihrer Facebookseite war, sei eher unwahrscheinlich. „Da müssten sie sich schon direkt in Facebook hineingehackt haben, was ich kaum glaube. Die sind sehr gut geschützt. Außer natürlich, ein halbwegs wichtiger Macher bei Facebook ist auch bei ‚Cybersolar‘ – die haben Zugriff auf so gut wie alle Daten.“
Fran glaubt allerdings, dass unsere Cyberfreunde viel einfacher an E-Mail-Adressen kommen: Man kommuniziert miteinander, alle, die bei „Cybersolar“ im engeren Kreis mit dabei sind, steuern die Adressen ihrer Freunde und auch von Journalisten bei.
„Und: Gehst du heute Abend dorthin?“, frage ich Fran.
„Ich weiß noch nicht. Das klingt nach einer eher unnötigen Aktion. Vielleicht ist das bloß irgendein schräger Ableger von ‚Cybersolar‘. Kann ja jeder mit dabei sein, Hierarchie gibt es keine. Mitternachtspartys auf Friedhöfen. Aus diesem Alter bin ich raus.“
„‚Party mit Knall‘ kann vieles bedeuten“, überlege ich.
„Sprengen werden sie Loidesbach schon nicht wollen. Mal sehen, vielleicht kommen ja weitere Botschaften, die es konkreter machen. Ich halte dich jedenfalls auf dem Laufenden.“
Ich trödle herum und genieße das Nichtstun. Ich füttere Gismo mit ein paar Oliven, surfe eher ziellos im Internet, lese meinen Roman fertig. Oskar hat Arbeit mit nach Hause gebracht. Er brütet über irgendwelchen Akten. Vor Urzeiten habe auch ich Rechtswissenschaften studiert. Aber bei so etwas kann ich ihm sicher nicht helfen.
Weitere Kostenlose Bücher