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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Programm an und denkt an den Geschmack seines Vaters und weiß jetzt, daß er nach der Blume von Kabul auf SpringTV umschalten und sich Rio Bravo in einer überarbeiteten Sensi-Fassung anschauen wird, bis es schließlich elf ist und die meisten Sender mit leicht- oder überhaupt nicht bekleideten Mädchen zu locken beginnen, immer wieder unterbrochen von Fußpflegereklame und Zigarettenwerbung. Also wird Jobs Vater kaum vor eins den Sensiver vom Kopf nehmen, um mit der Aussicht auf einen weiteren Arbeitstag im Büro in den Cronenberger Wohnturm zurückzukehren.
    Job wirft die Jacke über, öffnet leise die Tür. Tatsächlich. Jobs Vater hat sich nicht gerührt. Das Video läuft, und auch der Bildschirm ist erhellt, obwohl der Sensiver-Ring das doch überflüssig macht, und jetzt ist der blonde muskulöse Agentenheld irgendwo im wüsten afghanischen Bergland und hantiert an einem Raketenwerfer, während die Partisanin hinter ihm steht und schön ist und die gepanzerten Fahrzeuge mit den roten Kennzeichen unten im Tal wie Fliegendreck aussehen. Die Samthäutige sagt etwas und schenkt dem Blonden einen glutvollen Blick, der Jobs Vater selbstzufrieden lächeln läßt, und Job hastet durch den Flur und öffnet die Wohnungstür und steht draußen im Treppenhaus.
    Der Lift kommt schnell und trägt ihn hinunter in das große, übersichtliche Foyer, das natürlich mit einem Bewaffneten besetzt ist, um die Miete hoch- und die Penner und Ausgestiegenen, die Zwielichtigen und Verdrehten abzuhalten, die sich im Steingestrüpp zwischen den Wohnturmbäumen auf den Cronenberger Höhen seit langem schon tummeln. Der Wächter heißt Mehlhard und dann noch etwas mit J. – Josef vielleicht oder Judas –, und er grunzt, als sich die Kabinentür öffnet und er Job heraustreten sieht. Mehlhard sitzt auf einem Podest, hinter Panzerglas, vor einem blinkenden, druckknopfverzierten Schaltpult, und hat die Haustür fest im Auge, das heißt, wenn er von seinen Comics hochblickt, was selten geschieht. Schließlich arbeiten die Kameras und Sensoren automatisch. Computergesteuert. Und jeder, der in das Haus will, muß seine Personenkarte in den Identerschlitz stecken. Und jeder weiß, daß das Haus von Mehlhard bewacht wird, wenn er nicht gerade seine Comics liest, Black Man zum Beispiel, oder Supergirl for Adult oder Strip.
    Job geht an Mehlhard vorbei und nach draußen und läßt die Jacke aufgeknöpft, denn es ist ja warm und feucht und drückend. Nur die Hälfte der Straßenlaternen brennen und die auch nur mit halber Kraft, weil zum zweitenmal in dieser Woche der Atomkraftwerkskomplex am Niederrhein abgeschaltet werden mußte und angesichts der weiteren Ölverschwendung in der Republik die Lieferquoten von der OPEC erneut gedrosselt wurden.
    Das alles geht Job automatisch durch den Kopf, während er die Straßen hinunter zum Cittax-Rufer schlendert und das Gesicht verzieht, als er sieht, daß Storch ihm entgegenkommt. Storch heißt in Wirklichkeit Sven, Sven Lahnstein, aber er hat tatsächlich verdammt viel Ähnlichkeit mit einem Storch, denn er stakst steif daher und ist auch sonst recht dünn und verwirrt. Job kennt Storch, weil Storch bis vor zwei Jahren wie er das Schulzentrum Süd besucht hat und dann wegen Heroinhandels von der Schule geflogen ist und wohl nur wegen seiner Jugend noch nicht im Gefängnis sitzt, denn sein Vater, der Bankdirektor Lahnstein, hat damals gewiß nicht daran gedreht. Job drückt die Ruftaste und beginnt auf das Citytaxi zu warten und brummt Storch ein gedehntes »Hmm« entgegen. »Was machste so?« fragte Storch und kratzt sich den Hals, dann die Brust, dann die Arme. Er blinzelt, und seine Augen sind klein und unscharf. »Hab’ dich ewig nicht mehr gesehen. Tja.«
    »Oh«, sagt Job und blickt ungeduldig auf die Straße hinunter und wartet auf das Cittax, das wie immer um diese Uhrzeit sehr lange braucht. »Was man so macht. Morgens zur Arbeit, na ja, bei den Alten wohnen, essen …« Er denkt angestrengt nach, aber ihm fällt wirklich nicht ein, was er jetzt in diesem Augenblick zu Storch sagen könnte, vor allem deshalb, weil Storch ihn gar nicht anschaut, nicht richtig, und mit seinen Gedanken ganz woanders ist, nicht in Kandahar oder Kabul, gewiß nicht, aber in irgendeinem fremden Land, wo ihn niemand so leicht erreichen kann.
    Dann kommt endlich das Cittax, ein gelber, rundlicher Wurm mit summendem Motor und aus Leichtkunststoff und bis auf den Steuercomputer billig ausgestattet. Im Cittax befindet

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