Unter Tage
ihn mit der anderen zurück zu dem klaffenden Loch in der Glastür.
»Loslassen«, ächzte Shreiber. Die Angst, die Schlinge um seinen Hals, schnürte ihm die Luft ab. In einem verzweifelten Aufbegehren riß er sich los, hieb Flecht die geballte Faust ins Gesicht und torkelte blindlings davon.
Die Uniformierten erreichten ihn. Ein Handschuh fuchtelte vor Shreibers Augen und packte ihn dann am Kragen. Ein weißes, junges Gesicht mit funkelnden Augen. Ein elektrischer Schlagstock.
»Er ist es«, krächzte Shreiber. »Es ist Flecht. Er gehört zum Feind. Er ist es. Auf ihn müßt ihr achten. Er gehört dazu!« Shreiber deutete zitternd auf Flecht, der noch immer halb betäubt von dem Fausthieb war. Er erhielt einen Stoß und die Welt drehte sich um ihn. Blaue Funken zischten. Shreiber schrie. Er verlor das Gleichgewicht. Er konnte kaum noch etwas verstehen. Alles wurde von einem dumpfen Rauschen überlagert. Aus den Augenwinkeln, durch die Tränen, sah er Flechts verzerrt erscheinende Gestalt unter den Schlägen der Milizionäre zusammenbrechen. Aus einer Kopfwunde rann Blut, färbte die blonden Haare, färbte den ganzen Schädel klatschmohnrot, und es war das Blut des Feindes, das dort vergossen wurde.
Die Milizionäre blieben noch einen Moment unschlüssig zwischen den Scherben der zerborstenen Tür stehen und blickten auf Flecht hinab. Flecht rührte sich nicht mehr. Und in diesem Augenblick empfand Shreiber eine leise Zufriedenheit, eine heitere, prickelnde Erleichterung, daß es endlich gelungen war, den Feind in Gestalt eines seiner menschlichen Werkzeuge zu vernichten. Shreiber spürte, daß ihn etwas mit diesen Männern verband, daß eine gewisse Wesensverwandtschaft existierte, die auch vor dem Feind Bestand hatte, und als sie ihn noch einmal prüfend musterten, dann fast wohlwollend nickten und weiterzogen, in Richtung der weichenden Menge, da begriff Shreiber, daß auch sie diese Verbindung akzeptierten.
Shreiber stand da, mit gefurchter Stirn, und dachte nach und versuchte, diese ganze verwirrende Situation zu entschlüsseln. Shreiber stand auf der leerer und stiller werdenden Straße und betrachtete Flechts blutbefleckten Leichnam und er verstand erst in dieser Sekunde die ungeheuerliche Veränderung, die sich vollzogen hatte.
Er war nicht allein. Die Milizionäre – sie waren auf seiner Seite, denn sie töteten den Feind. Sie handelten, sie und ihre Führer, und sie kannten den Feind.
Shreiber atmete auf. Er entspannte sich. Er lächelte.
Und spürte, wie die Angst von ihm abfiel, wie sich langsam die dickten Verkrustungen lösten. Er war in Sicherheit.
Man sah wie er.
Man dachte wie er.
Und man handelte. Tötete ihn. Den Feind.
Video
Und das ist dann genau jener Moment, in dem Jobs Vater immer sagt: »Nun ist es aber genug!« Und dabei haut er mit der rechten Faust auf den nicht abgeräumten Abendtisch, und Job möchte kaum glauben, daß diese Hand bis 15.00 Uhr sonst nur Schreibstifte umklammert oder Zahlen in Computer tippt. Aber jetzt wackeln die Tassen, und selbst ein schmutziger Teller springt schwerfällig in die Höhe, aber zum Glück ist alles, was noch auf dem Tisch steht, aus Plastik und klirrt nicht und wird wohl auch nicht zerbrechen.
»Genug«, wiederholt Jobs Vater, und Job verdreht die Augen, denn es ist immer das gleiche, was der Alte sagt, wenn er nicht gerade vor dem Video hockt oder zu dem Büroturm unten in der City schlurft. Und dort Computerfolien und Akten schleppt. Und natürlich mit Schreibstiften kritzelt. Aber hier haut er auf den Tisch, und was er sagt, klingt immer gleich in Jobs Ohren, der sich allmählich fragt, wie oft er sich das eigentlich noch anhören muß.
»Du bist nicht einmal siebzehn«, brüllt Jobs Vater, der genau weiß, wie oft sich Job das noch anhören muß, »und bis du volljährig wirst, hast du zu tun, was ich dir sage.« Und bei dem ich tippt er sich mit dem linken Daumen gegen die Brust und läßt damit keinen Zweifel, wer in diesem Haus etwas zu sagen hat. »Du gehst nicht zu diesem … diesem Perres, oder was weiß ich, und schon gar nicht um kurz vor acht, mitten in der Nacht, das fehlte noch, daß du herumstromerst und wer weiß was anstellst. Genug, und nun verschwinde in dein Zimmer, und ich will nichts mehr davon hören.«
Job und Jobs Vater starren sich an, und Job denkt bei sich: Das ist ja eine schöne Schweinerei! Und: Was werden Perez und die anderen denken? Und: Wenn ich jetzt nicht nachgebe, dann ist der sogar
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