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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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imstande und haut mir eine runter, und dann ist es aus zwischen mir und dem da. Job denkt eine ganze Menge in diesem Augenblick, aber natürlich spielt dies nicht die geringste Rolle; nicht, weil Jobs Vater noch einen ganzen Kopf größer und zwei oder drei Dutzend Pfund schwerer ist als Job, sondern er ist eben sein Vater, und Job ist sechzehn, und so fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie das alles enden könnte. Allerdings, wenn Job ehrlich zu sich ist, dann hat er nicht Angst vor dem Schlag und dem Schmerz und dem Zerwürfnis, sondern vor etwas sehr tief Liegendem und Wichtigem, mit dem man wirklich nicht spaßen sollte, auch wenn es so aussieht, als hätte das ganze doch keinen Zweck mehr.
    Also macht er auf dem Absatz kehrt und ballt nur die Fäuste, aber so, daß es Jobs Vater sehen kann, und als er vor der Tür zu seinem Zimmer steht, da dreht er sich noch einmal um und schaut zurück, obwohl er weiß, was jetzt kommt, weil es jeden Abend so geht und das schon länger, als Job zurückdenken kann. Jobs Vater ist bereits wieder zurück ins Wohnzimmer, flegelt sich auf seinen Lieblingssessel, auf dem sonst keiner sitzen darf, und schaltet das Video ein und legt sich dann den goldenen Ring des Sensivers um die Stirn und ist im nächsten Augenblick schon mit den Gedanken und Gefühlen unten in Kandahar, wo der blondlockige Held vom CIA die braunhäutige, samtäugige und auch sonst nicht häßliche Partisanin in die Arme schließt und ihr den Verbrüderungskuß auf die leicht geöffneten Lippen haucht. Jobs Vater ist nun wirklich in Kandahar und blond und vom CIA und mit verdammt viel Erfolg bei den Frauen und denkt gewiß nicht mehr an Job und die drei Zimmer im Cronenberger Wohnturm und daran, daß Jobs Mutter jetzt ihre Nachtschicht im nahen Werk der Vereinigten Biochemischen AG antritt und erst wieder nach Hause kommt, wenn Jobs Vater zum Verwaltungshaus aufbricht; aber die hohe Miete, und schließlich muß dann und wann ja auch ein Urlaub und so drin sein …
    Job schmettert hinter sich die Tür ins Schloß.
    Und selbst wenn Jobs Mutter da ist, macht das auch keinen großen Unterschied, denn sie sitzt schon lange und zu oft mit einem vollen und immer wieder nachgefüllten Cocktailglas am Telefon und redet mit Gerda und Angelika und Susie und Anja und eigentlich recht wenig mit Job, so daß er schon gar nicht mehr weiß, was er zu ihr sagen soll, wenn sie sich doch einmal an ihn erinnert und fragt, wie es so ist und was die Lehre macht und überhaupt.
    Perez wird ihn für einen Arschkriecher und Schleimer halten, wenn er nicht kommt, denkt Job und starrt die Tür an und dann sein Zimmer und schließlich durchs Fenster. Draußen ist es bereits dunkel, und es ist November, und das Thermometer steht auf einundzwanzig Grad über Null. Job weiß, daß es früher auch hier Schnee und Eis im November oder Dezember gegeben hat, aber nicht mehr zu seiner Zeit, weil schon vor seiner Geburt in Deutschland warmes, dumpfes Klima herrschte und ständig Dunst über den Städten hing, und natürlich haben diese Dunstglocken etwas mit den einundzwanzig Grad Celsius zu tun. Während Job hinaus sieht, überfliegt ein Supersonic die Stadt und kreist träge über dem Bergischen Land, weil der Düsseldorfer Flughafen wieder einmal verstopft ist und die Lage auf den anderen Flughäfen der Republik auch nicht besser aussieht. Zum Glück macht der Supersonic nur wenig Lärm, brummt träge im Hintergrund, und außerdem hat jedes Fenster im Wohnturm Doppelglasscheiben, schon wegen der Ätznebel, die dann und wann von der Biochemfabrik herüberwehen.
    Aber im Grunde ist das jetzt unwichtig.
    Job muß zu Perez – und wenn der Alte rotiert. Job bückt sich und holt unter dem Bett das Programmblatt für diesen Tag hervor, das er sich heimlich vom Video hat ausdrucken lassen. Es ist Mittwoch, und das ist der Tag, an dem sich die neuen privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht lumpen lassen und Thriller und Shows und Familienfilme und Tiersendungen und Quiz bringen und das alles schön lange, rund um die Uhr, damit Leute wie Jobs Mutter auch noch etwas vom Programm haben, wenn sie von der Schicht heimkehren. Jobs Vater hat RTL 1 eingeschaltet, einen der beiden Luxemburger Kanäle, die mit der Parabolantenne auf dem Dach des Wohnturms empfangen werden können, während der Sendetrichter des dritten Kanals von dem hoch oben im Orbit stehenden TV-Satelliten auf Norddeutschland gerichtet ist.
    Job schaut sich das

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