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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Geisteskrankheit zu simulieren, um dadurch etwas über krankheitsauslösende Hormonveränderungen zu erfahren, ist fehlgeschlagen. Nach den Berichten zu urteilen, wurden nur latent vorhandene Symptome verstärkt.«
    »Aber ein Massentest …«
    »Für einen Massentest besteht keine Notwendigkeit mehr. Das Projekt P wird ab sofort eingestellt.«
    »Aber …«
    »Kein aber! Wir ändern unsere Strategie. Die Prognosen über den Einsatz des Ptyramon-Derivats Gamma beweisen schlüssig, daß dieses Psychopharmaka ausreicht, um unsere Probleme zu beseitigen.
    Ich habe bereits Anweisung gegeben, in der Unterregion Ruhr das Trinkwasser mit Ptyramon-G retard zu präparieren. Wenn die Berechnungen stimmen, dann müßten bereits in ein bis zwei Wochen die seelischen Krankheiten rapide zurückgehen.
    Nebenbei dürften damit auch Kritik, Unzufriedenheit und passiver Widerstand der Bevölkerung abnehmen. Sie begreifen? Wir kontrollieren Gefühle …«
    »… wir kontrollieren Gedanken.«
     
    *
     
    Matuschek erwachte, blickte in Rescors Gesicht. Das Licht in der Zelle war trübgelb. »Wie lange habe ich geschlafen?« krächzte er.
    Rescor sah auf seine Uhr. »Nur vier Stunden. Verwunderlich bei der Dosis Barbiturate, die der Diagnoster Ihnen injiziert hat!«
    Matuschek erschrak vor seiner diffusen Erinnerung. »Sie wollen mich abholen und …«
    »Nein«, schüttelte der Chefanalytiker den Kopf, seufzte entsagungsvoll. »Die Versuche wurden eingestellt. Die Institutsführung und übergeordnete Behörden waren der Meinung, daß wir den falschen Weg beschritten haben. Die Resultate wichen zu stark von den Erwartungen ab.«
    Matuschek richtete sich auf, hielt mit beiden Händen seinen betäubten Schädel. »Und nun?«
    Rescor runzelte die Stirn. »Nichts. Das Institut benötigt Sie nicht mehr. Sie werden morgen in die Justizvollzugsanstalt Lyon überführt. Wann Ihre Verhandlung und Aburteilung erfolgt, ist mir nicht bekannt.«
    »Mein Kopf«, flüsterte Matuschek. »Mit meinem Kopf ist etwas nicht in Ordnung! Mit meinem Kopf ist irgend etwas geschehen! Was haben Sie mit mir gemacht? Was haben Sie getan?«
    Rescor erhob sich. »Nebenwirkungen«, winkte er ab. »Die vergehen.«
    Matuschek schloß und öffnete die Augen. »Mit meinem Kopf ist etwas nicht in Ordnung«, wiederholte er matt. »Wenn ich mich nur erinnern könnte! Meine Gedanken … Sie wirbeln und summen. Ich kann sie nicht einfangen, es ist so schwer …
    Rescor! Sie müssen mir helfen! Sie müssen mich untersuchen! Mein Gehirn – etwas stimmt damit nicht! Ich fühle es! Rescor, ich fühle es!«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Matuschek«, beruhigte Rescor geistesabwesend. »Psychopharmaka können vorübergehend das Denkvermögen beeinträchtigen. Das weiß doch jedes Kind! Es ist das Beruhigungsmittel, nichts weiter! Legen Sie sich hin und schlafen Sie. Ihnen steht eine schwere Zeit bevor.« Er lächelte ohne eine Spur von Freundlichkeit.
    »Rescor!« schrie Matuschek. »Was geschieht? Was ist? Was …«
    Klick!
    Der Pfad war schmal und mit glitzerndem Reif bedeckt. Er vibrierte unter Matuscheks Schritten, und seine Füße rutschten immer wieder ab, traten ins Leere. Nebel stieg auf. Der Himmel war sternenlos.
    Matuschek hastete den Pfad entlang, ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu bewahren, er hastete und lief, rutschte über die eisigen Steine, unablässig nach hinten äugend und die klammen Hände anhauchend.
    Matuschek stockte, blinzelte durch die Nebelschwaden, durch die Angst in seinem Kopf. Der dünne Felsgrat endete, ragte zerbrochen und elend hinaus in die Finsternis.
    Hinter sich hörte Matuschek die Geräusche der sich schnell nähernden Verfolger.
    Matuschek! pfiff es.
    Der Nebel wurde dichter. Feucht legte er sich auf Matuscheks furchtbrennende Haut.
    Matuschek taumelte, sah entsetzt zu Boden. Der Fels löste sich zögernd auf, rieselte raschelnd wie ein sandiger Wasserfall in den Abgrund.
    Matuschek! flüsterte es.
    Dann – mit einemmal – verschwand der Nebel. Matuschek wimmerte. Kichernd krochen die Schlangenleiber heran. Dornenzähne geiferten, sprangen ihm ins Gesicht, bohrten sich in seine Waden.
    Klick!
    »Rescor!« schrie Matuschek. »Was machen Sie mit mir?« Um ihn herum drehte sich alles, verschwamm.
    Ungläubig starrte Rescor auf die fingertiefe Bißwunde in Matuscheks Bein. Das herausquellende Blut bildete bereits eine dickflüssige Pfütze auf dem Boden. Mit einem Satz sprang der Chefanalytiker zur Tür, drückte den Alarmknopf.

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