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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Aufgeregt wimmerten durchdringende Heultöne.
    »Ein Rückfall!« sagte Rescor fassungslos.
    »Wie kann …«
    Klick!
    Matuschek kroch tiefer zurück in die schmale Ecke zwischen dem Schreibtisch und dem Bücherschrank, preßte das feuchte, schwarzverfärbte Taschentuch vor den Mund, hustete und spuckte, die aufgerissenen Augen auf die knackend vorwärtsschleichenden Flammen gerichtet.
    Die Hitze raubte ihm fast den Atem, versengte seine Brauen, seine Haare, röstete die Haut schmerzrot, vergloste seine Kleidung, rußte den Verstand.
    Matuschek stöhnte.
    Die Flammen fauchten triumphierend. Polternd stürzte ein Teil der Decke herab, prallte funkenstiebend auf die brennenden Teppiche, erbrach pechschwarzen, hustenreizenden Qualm.
    Noch etwas zögernd bog die Flammenwand um die zerschmolzenen Plastiksessel, stoppte, orientierte sich, entdeckte Matuschek und schleuderte dünne, gelbe Glutzungen gegen seine Brust.
    Matuschek kreischte, hieb auf die flackernde Jacke.
    Klick!
    Matuschek brach zusammen. Von seinem Kopf lösten sich die verschmorten Haare, pappten fest an dem wunden Gewebe seiner Gesichtshaut.
    Rescor würgte. Er war grau geworden. »Sanitäter!« rief er hilflos durch die geöffnete Tür, übertönte die Alarmsirenen. »Wo bleiben die gottverdammten Sani …«
    Klick!
    »Wir kriegen dich, Matuschek!« drohte das Brotmesser. Es löste sich aus der Besteckschublade des Küchenschranks und taumelte mit kreisenden Bewegungen auf Matuschek zu. Im müden Tageslicht wirkte die Schneide wie rostiges Blech.
    »Wir töten dich, Matuschek!« hechelte die Fleischgabel, hüpfte über den Spülstein, hüpfte knapp an seinem Hals vorbei.
    »Wir erschlagen dich, Matuschek!« höhnte der Fleischklopfer, hämmerte haßerfüllt auf den Kühlschrank, machte einen gewaltigen Sprung, schlug Matuscheks Schienbein wund.
    Ritsch! machte die Schere, klapperte mit ihren Klingen, klapperte und trennte mit einem blitzschnellen Schnitt Matuscheks rechtes Ohr ab.
    Ratsch! machte das Brotmesser, rasierte Matuscheks Kinn, teilte die Haut in Konfettistreifen.
    Klick!
    Rescor erbrach sich, spie einen seifigen Strahl halbverdauter Nahrung über das verwühlte Bett, vor dem Matuschek sich wand und krümmte und schreiend die Hand gegen den Ohrstumpf preßte.
    »Tribeau!« ächzte Rescor, ergriff den Arm des herbeigeeilten, verwirrt dreinblickenden Analytikers. »Eine Spritze! Eine Beruhigungsspritze! Schnell! Er stirbt! Psychosomatischer Rückschlag … Eine Beruhi …«
    Klick!
    Keuchend rannte Matuschek über die schwarze, rauchende, endlose Ebene, die Lunge verätzt von den Säuredämpfen, die ihm aus den Kratern entgegenschlugen, rannte und rannte mit gefühllosen Beinen und ohnmächtiger Furcht im zuckenden Herzen, und hinter sich hörte er das Trampeln und Röhren der Verfolger, fühlte das Schnappen ihrer Gelenke und roch die Ausdünstungen ihrer Leiber.
    Und obwohl Matuschek mit letzter Kraft, unbarmherzig, paniktrunken, seinen zerschundenen, ausgemergelten Körper vorwärtstrieb, nicht auf seine zerschnittenen Füße und seine blutiggegeißelten Beine achtete, sondern lief und floh, wie er noch niemals in seinem armseligen, kurzen Leben gelaufen und geflohen war,
    wann kommen die Sanitäter
    und obwohl
    er fluchte und vor Zorn Verwünschungen ausstieß, wütend und haßbebend Drohungen schrie, und lief und rannte und floh, Kilometer um Kilometer jener schwarzen, lebensleeren Ebene hinter sich ließ,
    die doppelte Dosis schauen Sie ihn sich doch an Sie Idiot und machen Sie schneller
    und obwohl
    er sich fragte, warum man ihn denn töten wollte und was er denn getan hatte, daß man ihn so unerbittlich verfolgte, und was denn sein Leben für einen Sinn hatte, wenn er hier zwischen den Kratern und den brodelnden Säuretümpeln verendete,
    wir müssen ihn festhalten und dann die Spritze
    und obwohl
    in diesem Augenblick oben am fahlgrünen Himmel die nadeldünne, silberblinkende Spritzen Spitze des rettenden Raumschiffs die schartigen Wolkenbänke durchstieß,
    er stirbt
    obwohl ihm das alles in dieser einen, einzigen Sekunde bewußt wurde, wußte er doch mit völliger, tränentreibender Gewißheit, daß er endgültig und für immer verloren hatte.
    Taumelnd fiel er in den trockenen Staub.

 
     
Die sensitiven Jahre
     

 
I
     
    Mit einem leisen, beinahe verlegenen Schnarren beendete der Sensiprojektor das Programm. Die simulierte Realität verblaßte. Aus dem Farbenmeer von Cornings’ Augen – Reaktion der Neuronen und Synapsen auf

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