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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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Sänger intonierten den ersten Psalm,
    Und in Salem ist seine Hütte und seine Wohnung in Zion
,
    ihre Stimmen erfüllten die Kirche und sie waren von wunderbarer Klarheit. Pierre-Emmanuels Gesicht drückte heftige Erleichterung aus, er schloss die Augen, um sich auf seinen Gesang zu konzentrieren, und der Pfarrer schritt voran und er löschte eine Kerze. Man vernahm den Lärm von Rätschen und denjenigen von Füßen, die gegen das Holz der Betstühle schlugen, um Zeugnis abzulegen vom Ende der Welt, die in Finsternis versank,
    die Erde und der Erdkreis und alle, die darauf wohnen
,
    und Gavina Pintus hob nun kleine, verängstigte Mädchenaugen zum Kreuz hin, Virgile Ordioni wrang in der ersten Reihe seine Schirmmütze nervös in den Händen, als müsste tatsächlich das ganze Dorf völlig vergehen, das Kreischen der Rätschen vermengte sich nun mit demjenigen der angeschlagenen Fundamente, die Steine der Kirche zitterten, bis die Kakophonie endlich abbrach und sich die Gesänge wieder erhoben,
    so werden die Gebeine frohlocken, die Du zerschlagen hast
,
    und der Pfarrer löschte nacheinander jede einzelne Kerze. Bald schon blieb nur noch eine schwankende Flamme, Gavina Pintus nahm die Hand ihres Sohnes, der ein frevelhaftes Gähnen unterdrückte, Matthieu hoffte, dass das Ende der Welt nicht so nervtötend sein möge, ihm war kalt, er war müde, unter der so nahen Decke strahlte Izaskuns Körper vergeblich Wärme aus, und der Pfarrer schlug sein großes kupfernes Tuch in die Luft und die Dunkelheit war komplett.
    Es werden erhöht werden die Hörner der Gerechten
.
    Der Pfarrer sprach noch weiter in die Finsternis hinein und sagte, dass der Christ die Finsternis nicht fürchte, aus der heraus er im Augenblick spreche, denn er wisse, dass sie nicht den Sieg bedeuten würde des Nichts, das Licht, welches erlischt, sei nur Menschenlicht und die Finsternis breite sich nur aus, damit schließlich das Licht Gottes erscheinen könne, dessen Wiege es sei, wie auch das Opfer des Lammes Gottes den auferstandenen Sohn verkünde in der Herrlichkeit des Vaters, Wort Gottes, Ursprung aller Dinge, und die Finsternis sei nicht der Tod, sie bezeuge nicht nur das Ende, sondern auch die lichten Ursprünge, denn es sei dies in Wahrheit eine einzige und sich gleichbleibende Bezeugung. Das milchige Licht der Dämmerung drang durch die geschlossenen Türen. Nachdem er sie gesegnet hatte, entließ der Pfarrer seine Herde, von der ein erheblicher Anteil zur Bar stürzte, um sich von seinen Gefühlen wieder zu erholen. Libero bereitete Kaffee zu und stellte eine Flasche Whisky auf den Tresen, für jene, denen ihr Gefühl wirklich zu heftig war. Pierre-Emmanuel zweifelte an der Qualität seiner Darbietung und Libero versicherte ihm, dass sie gut gewesen sei, auch wenn, dies müsse zugegeben werden, vielstimmige Gesänge beschissen und nur schwer zu ertragen seien auf Dauer. Virgile Ordioni brachte, nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte und seine Hand schüchtern zum Whisky wandern ließ, seinen Unwillen darüber zum Ausdruck: »Schön war das! Großartig! Libero versteht einfach nichts davon!«
    Pierre-Emmanuel klopfte ihm lachend auf den Rücken: »Und du, was verstehst du davon?«, aber Virgile reagierte nicht gekränkt, er schien einen Augenblick zu überlegen und sagte dann: »Das stimmt sicherlich. Ich verstehe nicht viel davon. Aber es war schön«, und es folgte eine lebendige Unterhaltung über Vielstimmigkeit, die musikalische Kompetenz von diesem und jenem, über die Rätschen, die Kerzen und die Pfarrer, und diese Unterhaltung war willkommener Anlass für das opportune Auftauchen einer weiteren Flasche Whisky, was zur Folge hatte, dass Izaskun und Sarah, als sie zur Öffnungszeit ankamen, alle vor die Tür setzen mussten, in den Regen, der zu fallen begann. Der Tag zu Wochenbeginn aber zeigte sich in strahlendem Frühlingsglanz. Pierre-Emmanuel und die Freunde aus Corte stellten ihre Soundanlage im Freien auf und stimmten ihre Instrumente. Matthieu trank in der Sonne ein Glas Rosé und sah Izaskun zu, wie sie die Tische herrichtete, er hob sein Glas in ihre Richtung. Sie deutete ihm mit kleiner Handbewegung einen Kuss an. Sie war seine Schwester, seine zarte, inzestuöse Schwester. Er beobachtete, wie einer der Freunde aus Corte ihr Albernheiten ins Ohr fabelte, sie lachte, aber er war nicht eifersüchtig, es kümmerte ihn wenig, was sie mit diesem Typ anstellen könnte, sie war seine Schwester und nicht seine Frau, sie würde

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