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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Geburt aus.
    Wir bewahren doch so eine kleine Fotografie von den Toten in unserem Hausaltar auf. Die von meinem Mann habe ich mir neben mein Wochenbett im Krankenhaus gestellt. Sie sollte mir Kraft geben. Meine Schwiegermutter und die Mutter von einem Freund meines Mannes waren auch da, um mich zu unterstützen. Die Geburt hat dreizehn Stunden gedauert. Das sei ganz normal, haben sie mir gesagt. »So etwas findet ihr normal?« dachte ich damals ( lacht ). Die Kleine wog 3040 Gramm. Sie war schwerer als erwartet. Während der Geburt war ich so beschäftigt, dass ich meinen Mann ganz vergaß. Es tat so weh. Meine Schwiegermutter ist in den Kreißsaal gekommen und hat mir Klapse auf die Wangen geben, damit ich nicht ohnmächtig wurde: »Halt durch!« soll sie gerufen haben. Ich kann mich an nichts erinnern.
    Nach der Geburt war ich so fertig, dass ich einfach nur schlafen wollte. Normalerweise freut sich eine Frau wahrscheinlich erst mal über ihr niedliches Baby, aber ich konnte einfach nicht mehr.
    Ich brauchte ziemlich lange, um mich von der Geburt zu erholen, aber meine Schwiegermutter hat mir unheimlich beigestanden und mich richtig verwöhnt. Sie kümmerte sich auch um Asuka. Meine Mutter war ja nicht mehr da, und mein Vater hätte das nie geschafft. Meine Schwiegermutter hatte schon ihrer anderen Schwiegertochter nach den Geburten geholfen, und ich fühlte mich so geborgen wie auf einem Luxusdampfer. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich den Verstand verloren. Das ist das Gute an einer Großfamilie.
    Meine Schwägerin hatte schon zwei Kinder (und bekam fast zur gleichen Zeit wie ich ihr drittes). Wenn ich weinte, fragten mich die Kinder: »Tante, geht es dir nicht gut?« oder »Weinst du, weil Onkel Eiji tot ist?« Wenn sie da waren, musste ich nicht so viel weinen. Sie waren mir wirklich ein großer Trost.
    Im September dieses Jahres bin ich wieder nach Yokohama gezogen, nachdem ich ungefähr anderthalb Jahre bei meinen Schwiegereltern gelebt habe. Ich habe dort ein richtiges Zuhause gefunden ( lacht ) und fahre auch jetzt noch oft hin. Es gefällt mir bei ihnen, und ich bin immer willkommen. Außerdem ist ja auch das Grab meines Mannes dort.
    Seit dem Anschlag ist mehr als ein Jahr vergangen, und ich habe das Gefühl, ein bisschen Abstand gewonnen zu haben. Allmählich begreife ich, dass er nicht mehr da ist … Mein Mann war ab und zu für zwei, drei Monate auf Geschäftsreise in Amerika, deshalb war seine Abwesenheit mir zuerst gar nicht fremd. Nach seinem Tod habe ich noch oft gedacht, er sei einfach bloß unterwegs. Das ganze Jahr hindurch hatte ich noch immer das Gefühl, er könnte jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Morgens wachte ich auf und dachte, er sei nur verreist, bis ich das Bild auf dem Altar sah. Ein Teil von mir wollte seinen Tod nicht akzeptieren. Ich habe anscheinend in einer Mischung aus Realität und Einbildung gelebt. Obwohl ich doch selbst sein Grab besuchte, hoffte ich noch, er würde nach Hause kommen. Aber heute, ein Jahr später, sehe ich klarer und weiß, dass er tot ist.
    Das war das Schwerste für mich. Damals konnte ich den Anblick eines jungen Vaters mit einem Kind auf den Schultern kaum ertragen. Und wenn ich hörte, wie ein junges Paar sich unterhielt, hätte ich mich am liebsten in Luft aufgelöst. Inzwischen hat sich das sehr gebessert.
    Ich habe gelesen, was die Zeitungen über mich geschrieben haben, aber das Wesentliche wird ja nie erwähnt. Irgendwann war ich auch mal im Fernsehen. Danach erzählte mir ein Mann von diesem Sender, es habe eine »große Resonanz« und »viele Briefe« gegeben. Mir haben sie allerdings nichts geschickt. Die Medien kann man wirklich vergessen ( lacht ). Nie wieder trete ich im Fernsehen auf. Sie haben nicht das geringste Interesse an dem, was wirklich passiert ist. Ich hatte auf ein bisschen Wahrheit gehofft, aber der Sender hatte seine eigenen Vorstellungen von dem, was gesendet werden sollte. Was ich eigentlich klarstellen wollte, haben sie nicht ausgestrahlt.
    Zum Beispiel: Wenn die Polizei in Kanagawa, als dieser Anwalt – Herr Sakamoto 21 – verschwunden ist, eine ordentliche Untersuchung durchgeführt hätte, wäre es zu dem Sarin-Anschlag in Tokyo nicht gekommen. All die vielen Opfer hätte es nicht gegeben. Das habe ich auch vor der Kamera gesagt, aber sie haben es einfach rausgeschnitten. Als ich nach dem Grund fragte, hieß es, das könnten sie ihren Werbespotkunden nicht zumuten. Das Gleiche gilt übrigens für die Zeitungen

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