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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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instabil. Wenn sie einfach zu Hause bleiben, normal arbeiten und ihre Meditationspraxis fortsetzen könnten, wäre alles in Ordnung. Aber so etwas lässt die Gesellschaft ja nicht zu. Deshalb nehmen sie zeitweilig die Isolation, eine Klausur, auf sich. Solche Menschen haben eine Realitätssperre oder einen Widerstand gegen die Außenwelt, der mit ihren Problemen zusammenhängt.
    Die Strukturen von Aum haben sich stark gewandelt, von Grund auf. Von außen betrachtet vielleicht nicht, aber im Inneren haben starke Veränderungen stattgefunden. Wir wollen auf der Basis von Yoga wieder von vorn beginnen. Aber da wir eine Tochter des Gründers zum neuen Oberhaupt ernannt haben, wird es wahrscheinlich heißen, wir hätten nichts gelernt.
    Murakami: Diesen Umstand finde ich gar nicht so unerhört. Aber solange Sie nicht öffentlich über das Geschehene reflektieren und sich davon distanzieren, werden Sie niemanden überzeugen können. Ich glaube nicht, dass Sie sich einfach hinstellen können und sagen: »Das haben andere gemacht. Unsere Lehre ist nicht falsch. Wir sind auch Opfer.« In Ihrer Sekte, in Ihrer Lehre verbergen sich gefährliche Elemente, und ich bin der Ansicht, Ihre Gemeinschaft ist verpflichtet, der Öffentlichkeit alles darzulegen. Erst dann werden Sie Ihr religiöses Leben so weiterführen können, wie Sie es für richtig halten.
    Erst allmählich sind wir in der Lage, an eine vorläufige Stellungnahme – die natürlich nicht alles umfasst – zu denken. Natürlich kann sie nur sehr unvollkommen ausfallen, aber die Medien werden sie sowieso nicht veröffentlichen. Darüber hinaus wären wir froh, wenn andere uns beim Bestimmen der Fehler, die wir gemacht haben, helfen könnten. Aber die japanischen Buddhisten wollen nichts mit uns zu tun haben und haben sich bisher nicht geäußert.
    Murakami: Könnte das nicht daran liegen, dass Sie immer nur in Ihrer eigenen Sprache – mit Ihrem eigenen Vokabular und Ihrer eigenen Grammatik – sprechen? Zu normalen Menschen müssen Sie mit normalen Worten und normaler Logik sprechen, sonst werden Sie nicht verstanden. Wenn Sie nur von oben herab dozieren, wird Ihnen niemand zuhören.
    Ja, das ist ein Problem. Aber wie wäre es denn, wenn wir ganz normal sprechen würden? ( Lacht. ) In der Sprache der Medien? Sie würden weiter einseitig berichten, die Reaktion wäre Unglauben oder Ekel. Alles, was wir sagen, wird ohnehin von den Medien verzerrt. Es existiert bisher kein einziger Medienbericht, der ernsthaft versucht hat, unsere wirkliche Haltung zu übermitteln. Niemand – außer Ihnen – macht sich die Mühe, uns anzuhören.
    Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, wie der Gründer selbst die Sache beurteilt, aber seine wahren Absichten sind bisher nicht geklärt. Der Anschlag ist der Dreh- und Angelpunkt. Wir bemühen uns nach Kräften, aber es ist wirklich sehr schwer, die Hintergründe des Anschlags so zu erklären, dass die Gesellschaft sie versteht.
    Ich bin noch Mitglied von Aum, aber auch die Leute, die inzwischen ausgetreten sind, verdammen Aum nicht hundertprozentig, genau wie diejenigen, die geblieben sind, Aum nicht für hundertprozentig richtig halten. Die meisten nehmen eine Mittelposition ein. Deshalb stimmt es auch nicht, wenn die Medien behaupten, die verbliebenen Mitglieder seien Fanatiker. Im Gegenteil, von den dogmatischen Asahara-Jüngern sind die meisten ausgetreten.
    Möglicherweise kommen die, die heute gegangen sind, morgen zurück, und diejenigen, die heute bleiben, treten morgen aus. Jeder ist auf seine Weise tief betrübt. Einige von den Ausgetretenen suchen mich persönlich auf und bitten mich um Rat. Wir führen lange Gespräche. Inzwischen sehe ich wieder etwas mehr Land, aber eine Weile habe ich mich gefragt, ob ich je in der Lage sein würde, wieder ein weltliches Leben aufzunehmen.
    Im Moment verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt mit Nachhilfestunden. Die Mitglieder, die hier zusammenleben, helfen einander. Von meinen Freunden und Mitbewohnern haben die meisten Aushilfsjobs auf Baustellen. Sie hätten Sie wirklich gern kennen gelernt, aber sie können nicht von der Arbeit weg ( lacht ). Sie machen alles Mögliche. Der im Zimmer nebenan arbeitet schon länger als Lastwagenfahrer. Wenn er sagen würde, dass er Aum-Mitglied ist, bekäme er keine Arbeit mehr. Also behält er es lieber für sich. Klar.
    Im Monat zahlen wir hier 42.000 Yen [ca. 420 Euro]. Wir haben zwar eine Dusche, aber kein Bad. Außer für die Miete gebe ich kaum

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