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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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eine Notiz schreiben sollte. Ich habe es mir angewöhnt, immer alles gleich zu notieren, denn ich muss später alles in ein Logbuch eintragen, da sind Notizen unerlässlich. Der Zwischenfall hatte um 8.10 stattgefunden, aber ich schaffte es nicht, eine 8 zu schreiben, weil meine Hand so stark zitterte und ich kaum den Kugelschreiber halten konnte. Überhaupt zitterte ich am ganzen Körper, aber ich konnte doch nicht einfach so rumsitzen. Ich konnte auch immer schlechter sehen und die Zahlen nicht mehr erkennen. Mein Gesichtsfeld wurde immer kleiner. Ich verstand überhaupt nicht, was los war.
    Dann kam die Nachricht, dass Herr Takahashi auf dem Bahnsteig zusammengebrochen war. Ein Kollege, der beim Aufwischen geholfen hatte, besorgte eine Trage und versuchte, zusammen mit einem anderen Herrn Takahashi zu helfen. Weil ich so zitterte, konnte ich nichts tun, als das Tastentelefon zu bedienen. Ich rief die Zentrale an, um zu melden, dass Herr Takahashi krank war und wir Hilfe brauchten, aber nun versagte mir auch die Stimme.
    Mit diesem Zittern würde ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommen können, deshalb wollte ich sicherheitshalber meine Büroarbeit jetzt erledigen. Man hatte schon die Ambulanz für uns gerufen, und ich wusste nicht, wann wir aus dem Krankenhaus zurück sein würden. Ganz bestimmt noch nicht am nächsten Tag. Zitternd packte ich zusammen. Währenddessen standen die Tüten mit den saringetränkten Zeitungen die ganze Zeit direkt neben mir.
    Als man Herrn Takahashi auf der Bahre hinaustrug, war er schon bewusstlos, und ich rief ihm zu: »Issho, lass dich nicht unterkriegen!« Aber er rührte sich nicht. Das Einzige, was ich zu diesem Zeitpunkt mit meinem eingeschränkten Gesichtsfeld noch erkennen konnte, war ein weiblicher Fahrgast, eine Dame, die im Büro saß. Da fielen mir die Plastiktüten ein. Wenn sie hier explodierten, wären Fahrgäste und Personal in höchster Gefahr.
    Ich erfuhr, dass Herrn Takahashis Zähne aufeinander schlugen wie bei einem epileptischen Anfall. Als ich die Tüten aufhob, um sie wegzuschaffen, fiel mir ein, dass ich zuerst etwas wegen Herrn Takahashi unternehmen musste. Ich gab die Anweisung, ihm ein Taschentuch in den Mund zu stopfen. »Aber passt auf, dass ihr nicht gebissen werdet.« Ich hatte gehört, dass man das im Falle eines epileptischen Anfalls tut.
    Ich muss grauenhaft ausgesehen haben. Mir lief die Nase, und meine Augen tränten, aber ich merkte nichts davon. Später haben mir die Kollegen erzählt, dass ich kaum noch zu erkennen gewesen sei.
    Ich beauftragte einen gerade eingetroffenen Kollegen, die Plastiktüten wegzubringen. In einen der Schlafräume, wo es nicht so gefährlich wäre, wenn sie explodierten. Dort wären sie hinter einer Stahltür eingeschlossen.
    Später habe ich erfahren, dass die Dame das verdächtige Objekt im Zug entdeckt und bei uns gemeldet hatte. Als ihr schlecht wurde, war sie in Nijubashi ausgestiegen und mit der nächsten Bahn nach Kasumigaseki gefahren.
    Dann kam Herr Hishinuma vom Bahnsteig zurück. »Was ist das bloß für ein Zeug, das wir da gefunden haben? Ich zittere wie noch nie in meinem Leben. Ich bin ja schon lange bei der Bahn, aber so was ist mir noch nie untergekommen«, sagte er. Inzwischen konnte auch er nicht mehr richtig sehen, aber er hatte das Signal für die nächste Bahn geben müssen, weil Herr Takahashi ausgefallen war.
    Ich war der Meinung, jetzt meine Pflicht getan zu haben. Als Erstes hatte ich das verdächtige Objekt beseitigt. Hishinuma und Takahashi waren beide im Büro. Damit waren die dringlichsten Aufgaben erledigt. Ich wies einen Stationsgehilfen an, am Ausgang A 11 vor dem Handelsministerium auf den Krankenwagen zu warten. Dort ist es am einfachsten für einen Rettungswagen, jemanden aufnehmen. Ich ließ Herrn Takahashi auf der Bahre ins Büro bringen, bis der Krankenwagen käme.
    Dann ging ich mir das Gesicht waschen. Meine Nase lief, die Augen tränten, und ich bot nicht gerade einen berauschenden Anblick. Ich wollte mich ein bisschen herrichten, zog meine Jacke aus und wusch mir das Gesicht über dem Waschbecken. Dazu ziehe ich mir immer die Jacke aus, damit sie nicht nass wird. Eine Angewohnheit von mir. Später stellte sich heraus, dass das genau richtig war. Die Jacke war nämlich mit Sarin getränkt. Auch sich das Gesicht zu waschen war natürlich gut.
    Das Zittern wurde allmählich immer schlimmer. Nicht wie bei Schüttelfrost, wenn man erkältet ist, sondern viel heftiger. Mir war

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