Untergrundkrieg
posttraumatische Belastungsstörung. Die gleichen Symptome treten zum Beispiel bei Erdbebenopfern aus Kobe oder Vietnam-Veteranen auf. Sie sind die Folge von starkem Stress. Ich habe mich nach dem Anschlag vier Monate lang gezwungen, bis spät in die Nacht zu arbeiten. Damit habe ich mich übernommen und den Stress verschlimmert. Dank meines einwöchigen Sommerurlaubs hatte die Anspannung nachgelassen.
Dr. Nakano war anfangs sehr erstaunt, dass ich so lange weitergemacht hatte. »Denken Sie nicht so viel nach, grübeln Sie nicht. Genießen Sie Ihr Leben, so gut es geht«, rät er mir immer. Eine posttraumatische Belastungsstörung ist anscheinend sehr schwer zu heilen. Wenn man die Erinnerungen nicht auslöschen kann, bleiben seelische Verletzungen zurück und mit ihnen die Symptome. Ich würde die Erinnerung gern auslöschen, aber das geht nicht so einfach. Alles, was ich tun kann, ist, mit der Krankheit zu leben, mich möglichst nicht zu überarbeiten und Stress zu vermeiden.
Im September, Oktober und November ging ich nicht zur Arbeit. Aber es fällt mir immer noch schwer, mit der Bahn zu fahren. Ab Koiwa sitze ich eine Stunde im Zug. Wenn ich in Hamamatsucho in die Einschienenbahn umsteige, wird der Druck in meinem Kopf stärker. In der Firma nehme ich dann eine Kopfschmerztablette, aber es dauert etwa eine halbe Stunde, bis ich wieder voll da bin. Von außen betrachtet, sehe ich ganz normal aus, deshalb verstehen die Leute meinen Zustand nicht. Aber mein Chef ist sehr anständig. Er sagt immer: »Wenn ich eine andere Bahn genommen hätte, wäre mir vielleicht das Gleiche passiert.«
Als ich nach dem Anschlag im Krankenhaus lag, hatte ich fürchterliche Alpträume. Am besten kann ich mich an einen Traum erinnern, in dem mich jemand aus meinem Bett am Fenster zerrte und mich durch das Zimmer schleifte. Oder ich drehte mich um und sah plötzlich jemanden hinter mir stehen, der eigentlich tot war. Überhaupt begegnete ich öfter Toten.
Früher habe ich manchmal geträumt, ich wäre ein Vogel und könnte fliegen, aber wenn ich es nun träumte, wurde ich abgeschossen, stürzte zu Boden und wurde totgetrampelt. Was früher ein schöner Traum war, hat sich in einen Alptraum verwandelt.
Meine Empfindungen, was die Täter angeht, gehen über Hass und Zorn hinaus. Aber selbstverständlich hasse ich sie auch. Ich will, dass man schnell mit ihnen fertig wird – mehr habe ich im Augenblick dazu nicht zu sagen.
Zweites Interview
Ich hatte Herrn Ohashi Anfang Januar 1996 interviewt, führte aber Ende Oktober ein zweites Gespräch mit ihm. Es interessierte mich, welche Fortschritte er gemacht hatte. Er litt noch immer unter Kopfschmerzen und Mattigkeit. Sein dringendstes persönliches Problem daneben war, dass man ihm in der Firma seinen bisherigen Arbeitsbereich weggenommen hatte; eine Woche vor unserem zweiten Gespräch hatte er es erfahren. »Warum schonen Sie sich nicht noch eine Weile« , hatte sein Chef zu ihm gesagt, »und übernehmen eine Tätigkeit, die nicht so anstrengend ist, damit Sie bald wieder gesund sind?« Nach einigen Gesprächen wurde entschieden, dass ein älterer Kollege Herrn Ohashis Aufgaben als Leiter des Servicecenters übernehmen sollte.
Dennoch hatte Herr Ohashi, als ich ihn nun nach längerer Zeit wiedersah, eine gesündere Gesichtsfarbe. Er fährt inzwischen immer von seinem Haus in Edogawa mit dem Motorrad in die Praxis zu Dr. Nakano (vor allem, weil er in der Bahn immer noch Kopfschmerzen bekommt). Auch zu unserem Gespräch kam er mit dem Motorrad. Er wirkte jünger als damals. Und er lächelte.
Doch wie er selbst sagt, sind Schmerzen letztlich unsichtbar, und nur der Betroffene selbst kennt ihre wahre Intensität.
Nach unserem ersten Gespräch bin ich im Februar, März und April dieses Jahres (1996) morgens gegen halb neun ins Büro und um drei Uhr wieder nach Hause gegangen. Ich hatte den ganzen Tag Kopfschmerzen. Sie kamen in Wellen, mal stärker, mal schwächer. Auch im Moment habe ich sie, wahrscheinlich werde ich sie für lange Zeit haben. Es fühlt sich an wie ein Gewicht, das auf meinen Kopf drückt, wie ein leichter Kater, den ganzen Tag. Jeden Tag.
Ein, zwei Wochen – von Ende August bis Anfang September – war es besonders schlimm. Ich war die ganze Nacht wach und konnte es nur mit Tabletten und Eisbeuteln aushalten. Mein Chef hat mir gesagt, ich solle nur noch vormittags arbeiten, aber die Kopfschmerzen werden einfach nicht weniger. Wenn ich im Büro ankomme, nehme ich
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