Untergrundkrieg
Unterwegs kauften sie eine Ausgabe der Tageszeitung Hochi Shimbun und wickelten die beiden mit Sarin gefüllten Beutel darin ein.
Die Bahn mit der Nummer B 711 T, die er nehmen sollte, fuhr um 7.59 in Richtung Tobu-Tiergarten. Er stieg in den ersten Wagen und setzte sich auf einen Platz in der Nähe der Tür. Wie jeden Morgen war der Zug voller Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit. Für die Fahrgäste war der 20. März 1995 bis jetzt noch ein Tag wie jeder andere. Toyoda stellte seine Tasche zu seinen Füßen ab, nahm die in Zeitungspapier gewickelten Sarin-Beutel heraus und legte sie auf den Boden.
Toyoda war nicht viel länger als etwa zwei Minuten in diesem Zug. Als die Bahn in Ebisu, der nächsten Station, hielt, durchstach er, ohne zu zögern, die Beutel mehrere Male mit seiner Schirmspitze und stieg aus. Eilig rannte er die Treppe hinauf und sprang zu dem wartenden Takahashi ins Auto. Alles lief nach Plan.
Auf der Fahrt zurück zum Ajid zeigte Takahashi plötzlich die Symptome einer Sarin-Vergiftung, das einzige Missgeschick bei der Aktion und anscheinend die Folge von Sarin-Resten an Toyodas Schirmspitze oder Kleidung. Aber Shibuya und Ebisu waren ganz in der Nähe, und es entstand kein wirklicher Schaden.
Toyoda hatte beide Beutel erfolgreich durchstochen, und 900 Milliliter Sarin ergossen sich restlos auf den Boden des Zuges. Als der Zug zwei Haltestellen später Roppongi erreichte, begannen die Fahrgäste im ersten Wagen sich unwohl zu fühlen und brachen noch vor Kamiyacho, der nächsten Haltestelle, in Panik aus. Sie versuchten, die Fenster zu öffnen, aber auch dadurch war die Verseuchung nicht mehr zu verhindern. Viele brachen auf dem Bahnsteig in Kamiyacho zusammen und mussten ins Krankenhaus transportiert werden. Es gab einen Toten und 532 Verletzte, darunter auch etliche Schwerverletzte.
Mit leerem ersten Wagen fuhr der Zug B 771 T bis Kasumigaseki weiter. Dort wurden die übrigen Fahrgäste evakuiert und der Zug aus dem Verkehr gezogen. 12
»Wenn du dein Enkelkind nun nie zu sehen bekommst?«
Hiroshige Sugazaki (58)
Herr Sugazaki ist leitender Angestellter des Bauunternehmens Myojo, das der Meiji-Lebensversicherung angeschlossen ist.
Er stammt von der Insel Kyushu und ist ein typischer Vertreter der aufrechten, geradlinigen Inselbewohner. Alle krummen Sachen sind ihm zutiefst zuwider. Er war schon immer ein bisschen streitlustig und musste wohl aus diesem Grund zweimal die Mittelschule und dreimal die Oberschule wechseln. Obwohl er der Sohn eines Sake-Brauers ist, trinkt er kaum Alkohol.
Herr Sugazaki ist von zierlicher Statur, aber drahtig und zäh. Sein Auftreten und seine Stimme sind selbstbewusst und sein Gedächtnis ist erstaunlich akkurat. »Da stimmt doch was nicht, wenn einer sich so genau und in allen Einzelheiten an alles erinnert« , bemerkte ein wenig misstrauisch der Polizist, der seine Aussage zu Protokoll nahm. In seiner Familie ist Herr Sugazaki uneingeschränkter Herrscher und ein so strenger Vater, dass seine drei Töchter ihm noch nie widersprochen haben. Menschen wie er sind heutzutage selten geworden.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, er sei ein sturer, harter Knochen, denn das ist nur einer seiner Charakterzüge. »Früher war ich sehr streng, inzwischen bin ich als Mensch etwas weicher geworden. Im Büro bemühe ich mich jetzt, auch mal den Mund zu halten und im Verborgenen zu glühen« , sagt er.
Nach dem Gasanschlag wurde Herr Sugazaki in größter Eile ins Krankenhaus gebracht, denn sein Herz und seine Lunge arbeiteten kaum noch. Die Ärzte und seine Familie hatten sich schon mit seinem möglichen Ableben abgefunden, doch wie durch ein Wunder erwachte er nach drei Tagen wieder aus dem Koma. Herr Sugazaki ist dem Tod nur um Haaresbreite entronnen.
Um halb sieben stehe ich auf, nehme ein einfaches Frühstück zu mir und gehe kurz nach sieben aus dem Haus. Ich fahre mit der Toyoko-Linie nach Naka-Meguro, das dauert eine halbe Stunde. Es ist zwar nicht allzu voll, aber einen Sitzplatz bekomme ich fast nie, und selbst wenn ich einen habe, steige ich um, wenn ein Expresszug kommt, denn ich bin von Natur aus ziemlich ungeduldig.
Wenn ich einen Sitzplatz habe, lese ich meistens, obwohl ich es seit dem Unfall nicht mehr so gern tue, denn meine Augen ermüden schnell … Ich lese gern historische Bücher. Damals las ich ein Buch mit dem Titel Zero-Flieger . Früher wäre ich gern geflogen und ich interessiere mich immer noch für Flugzeuge. Kaum war ich in die
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