Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
ein winzig kleines Lächeln. Man hätte es auf ihren dünnen Lippen allerdings schon mit der Lupe suchen müssen.
»Sind Sie denn immer noch sauer wegen der Arschbombe? Oder haben Sie eine Stracciatella-Allergie?«
Sie gab keine Antwort. Stattdessen schraubte sie den Deckel auf ihre Sonnencremeflasche.
»Jetzt essen wir das Eis, und dann zeige ich Ihnen, wie man einen sauberen Hechtsprung vom Dreier macht.«
Einen sauberen Hechtsprung vom Dreier, ganz toll. Sie musste innerlich grinsen. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona hatte sie vom Dreier einen eineinhalbfachen Salto rückwärts mit viereinhalb Schrauben vorgeführt. Höchstwertung.
»Und, wie schaugts aus, Fräulein?«
»Ich muss jetzt los.«
»Wohin?«
»Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Na gut, man will sich ja nicht aufdrängen.«
Sie packte ihre Sachen zusammen, dabei warf sie einen letzten Blick auf ihr Notebook: alles im grünen Bereich. Sie fuhr den Rechner herunter, sie stand auf und warf sich das kurze Sommerkleid über. Sie hängte sich die Badetasche über die Schulter und blinzelte in die untergehende Abendsonne. Jetzt hätte sie Marlenes großen Sonnenhut gut gebrauchen können. Sie streifte sich im Gehen ihre Sandalen über. Auf einem herrenlosen Badetuch stand ein altertümliches Kofferradio, aus dem gerade die Nachrichten des Lokalsenders dröhnten. Sie blieb stehen und hörte zu. Alles im grünen Bereich.
51
Küpfelklöck! Oh Küpfelklöck!
Ick tenck opft un döch zarück!
Up dr Olm, da konn monn schmaussen
ont ins Tal dann abwörts saussen.
Wenn wir dorch den Wolt spotzieren,
kann das fröhlich norr passieren.
Mällanckollische Genossen
wörrn ens Onterhulz kestossen!
Matthias Koeppel, »Starckdeutsch«
Im Polizeirevier waren die Vorbereitungen zur großen Lockvogeloffensive so gut wie abgeschlossen. Kommissar Jennerweins Metamorphose zu einem Waldwesen war fast perfekt. Er hatte einen groben Umhang umgeworfen und übte damit den schlurfenden, schildkrötenartig stampfenden Schritt des Wolzmüller Michl. Ein schwarzer, struppiger Vollbart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts fast vollständig, die schmutzig graue, fettige Perücke tat ein Übriges, um aus Jennerwein einen verwegenen Räuber Hotzenplotz zu machen.
»Und jetzt noch einen Zimmermannsbleistift hinters Ohr«, sagte Hölleisen. »Das ist sein Markenzeichen.«
»Und wenn mich jemand anspricht?«, fragte Jennerwein.
»Dann drehen Sie sich einfach abrupt weg. Man hat sich im Ort daran gewöhnt, dass er nicht antwortet. Das fällt nicht weiter auf.«
Stengele reichte ihm eine markierte Umgebungskarte des Kurorts.
»Diese Route habe ich für Sie ausgearbeitet«, sagte er mit einem Anflug von Stolz. »Wir fahren Sie jetzt zum Hausberg, dann gehen Sie hier den ausgetrockneten Bach zum Riessersee hoch, immer in südliche Richtung, und immer knapp oberhalb der ausgewiesenen Wege.«
Stengele ging mit Jennerwein die gesamte Strecke zur Wolzmüller-Alm durch. Maria Schmalfuß schaltete sich ein.
»Ostler hat mir die Marotten von Michl Wolzmüller ausführlich geschildert. Ich tippe auf das Krankheitsbild der sogenannten ›dissozialen Persönlichkeitsstörung‹. Wenn Sie so tun, als ob Sie nach innen horchen, Hubertus, dann können Sie nichts falsch machen. Bleiben sie mit dem Blick am Boden, lachen Sie plötzlich lauthals auf, klatschen Sie in die Hände, dann kommen Sie an den wahren Michl ran. Der Gang darf auf keinen Fall zielgerichtet wirken. Schlagen Sie Haken, bleiben Sie abrupt stehen, seien Sie nicht zu taff, Hubertus. Wenn Sie von der Äbtissin beobachtet werden, könnte ihr das auffallen.«
»Ja, natürlich«, knurrte Stengele. »Die Äbtissin hat sicherlich fünf Semester Psychologie studiert.«
»Er ist ein Soziopath«, fuhr Maria ungerührt fort. »Er geht auf niemanden zu. Wenn ihm jemand zu nahe kommt, dann dreht er sich um und geht weg. Er hat eine soziopathe Inselbegabung, er scheint mir ein typischer Idiot savant zu sein. Das Wegdrehen ist typisch für diese psychosozialen Erkrankungen. Er meint, wenn er jemandem den Rücken zukehrt, dann ist der andere verschwunden und nicht mehr bedrohlich.«
»Ich werde auf der Hut sein«, sagte Jennerwein. »Ich werde meinen Kopf unter den Mantel stecken, wenn ich telefonieren oder eine SMS schreiben will.«
»Das würde ebenfalls hervorragend zum Krankheitsbild passen«, sagte Maria bestätigend.
Stengele, Hölleisen, Nicole und Maria schalteten ihre Handys auf stumm. Sie hatten sich bereits mit
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