Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Wartebereiche der Notaufnahme zu setzen. Es gab eine Warteschlange vor der Röntgenstation, eine vor dem Gipszimmer, eine vor den Infusionsräumen. Sie hatte aufs genaueste recherchiert, gleich am ersten Tag, nachdem sie Marlene auf die Alm gebracht hatte. Sie war sofort nach der Tat zum Jeep gelaufen, den sie auf halber Strecke geparkt hatte. Sie hatte sich dort umgestylt, innerhalb von wenigen Minuten war aus ihr eine kurzhaarige, brünette, braunäugige, pausbäckige Unscheinbarkeit geworden. Dann war sie mit dem Jeep hinunter in den Kurort zur Autovermietung gefahren und hatte den Schlüssel in den Nachtbriefkasten geworfen. Den Rest des Abends verbrachte sie in der weitläufigen Notaufnahme des Krankenhauses. Von der Gipszimmer-Wartebank aus hatte man einen guten Blick in den Aufenthaltsraum der Hubschrauberpiloten, die aus allen Himmelsrichtungen angeflogen kamen und wieder in alle Himmelsrichtungen abhoben, um Spenderherzen zu transportieren oder Unfallopfer zur richtigen Stelle zu bringen. Es war heiß und stickig hier unten, die meisten Türen standen sperrangelweit auf. Es würde ein Leichtes sein, einem der Ärzte etwas ins Getränk zu träufeln, um ihn vorübergehend stillzulegen und sich als Ersatzkollegin auszugeben.
»Dr. Lackner von der Kardiologie. Fliegen Sie mich schnell in die Uniklinik. Schwierigkeiten bei einer Organtransplantation, die brauchen dort eine Kardiologin. In zwanzig Minuten muss ich da sein.«
Ein blütenweißer Arztkittel und ein beschriftetes Namensschildchen ›Dr. Lackner‹ lagen schon in ihrer Tasche bereit. Das Ganze hatte den Vorteil, dass sie keine Leichen zurücklassen musste – solche Dinge beschleunigten das Einsatztempo der Polizei erfahrungsgemäß enorm. Sie konnte spurlos verschwinden, bevor irgendeinem Bürokraten die Sache mit dem unpässlichen Arzt auffiel.
Sie packte ihre Badesachen in die bunte Strandtasche, die auch als Einkaufstasche durchgehen konnte. Ein kleiner, unhörbarer Seufzer entkam ihr. Genau dieses sperrige Ding war schuld daran gewesen, dass sie in der Wettersteinstraße mit Ganshagel zusammengestoßen war. Ihre Taschen und Einkaufstüten hatten sich ineinander verhakt.
»Oh, Entschuldigung, die Damen!«, hatte er gesagt und seine Tüten aufgeklaubt, die ihm bei dem Ausweichmanöver aus der Hand gerutscht waren. Die Damen. Er hatte in der Mehrzahl von ihnen geredet, er hatte sie also alle beide gesehen. Das war ein winzig kleiner Haarriss in ihrem perfekten Plan gewesen. Am nächsten Tag erfuhr sie aus der Zeitung, dass der Mann die Wolzmüller-Alm bewirtschaftete. Sie musste handeln, bevor er begriff, was er da gesehen hatte. Sein Foto mit der Unterschrift Betreiber Ganshagel (39) ratlos prangte auf der ersten Seite. So brauchte sie nicht einmal zu recherchieren, um ihn zu finden und auszuschalten. Es war furchtbar leicht gewesen. Auch dieser unfähige Kommissar Jennerwein stellte überhaupt kein Problem dar. Eine Taschenlampe hatte genügt, um den Provinztölpel ins Land der Träume zu schicken. Vermeide tote Polizisten. Eine der zehn goldenen Regeln in der Branche. Ein toter Polizist beschleunigt das Ermittlungstempo auf Überlichtgeschwindigkeit.
»Hallo, Fräulein, nichts für ungut, das da als kleine Wiedergutmachung für die Arschbombe.«
Der Scheuchzer Schorsch, seines Zeichens Dorfgigolo mit exquisiten Anmachsprüchen, hatte sich mit zwei Tüten tropfendem Speiseeis angepirscht, nun machte er sogar Anstalten, sich auf ihr Handtuch zu setzen.
»Der Scheuchzer Schorsch mit Stracciatella,
da scheint die Sunn’ am Himmel heller.«
Der Schorsch kaufte extra immer Stracciatella-Eis, um dann diesen Reim locker vom Stapel zu lassen. Er war wirklich der mit den allercoolsten Anmachsprüchen im ganzen Kainzenbad. Er hielt ihr eine Waffel mit drei instabil wirkenden Kugeln hin, eine drohte in Kürze auf ihr Handtuch zu ploddern, mit Spuren ohne Ende. Sie lächelte gequält und schüttelte den Kopf.
»Echt nicht, oder?«
In ihrer Badetasche befanden sich so viele Requisiten, um ihn unschädlich zu machen! Ein Klavierdraht, eine Pistole mit Schalldämpfer, ein Springmesser – was man eben im Freibad so braucht. Sie setzte ihren uninteressiertesten Blick auf. Doch der Alpencasanova ließ nicht locker. Er machte auf gespielt jämmerlich.
»Dann muss der Scheuchzer sechs Kugeln ganz alleine essen. Sechs eiskalte Kugeln hat er dann im Bauch, der arme Tropf.«
Diese morbide Zweideutigkeit mit den Kugeln im Bauch entlockte der Äbtissin
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