Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Rettungshubschraubern Christoph I – IV ganz abgesehen. Die beiden Ortsteile des Kurorts hatten jeweils eine eigene Feuerwehr – Ehrensache, dass es da auch zwei Helikopter gab. Die Bergwacht hatte insgesamt drei, die amerikanische Artillery-Kaserne hatte fünf, die nahe Mittenwalder Gebirgsjägerbrigade kreiste mit insgesamt sieben Kampfbrummern herum, mit Österreich war ein spezielles Abkommen geschlossen worden, das den Helikoptern des Bundesheeres erlaubte, die Grenze bei Manövern zu überqueren. Man hätte sich nicht gewundert, wenn der örtliche Golfclub zu einer Benefizveranstaltung aufgerufen hätte, um für einen eigenen Hubschraubercaddie zu sammeln.
Die Bewohner des Talkessels hatten sich an den regelmäßigen Helikopterlärm gewöhnt. Irgendwo in der Ferne ratterte und plotterte immer irgendein Ungetüm. Am späteren Abend war es meistens die motorisierte Bergwacht, die versuchte, unvorsichtige Halbschuhwanderer aus eisigen Felsspalten zu fischen. Am frühen Morgen waren es hingegen eher die Krankentransporte, zum Beispiel in das Traumazentrum Murnau, oder, wenn man mehr auf österreichische Heilkünste setzte, in das von Innsbruck.
Jennerweins Team stieg mit energischen Schritten die Abhänge hinunter, die von der Wolzmüller-Alm in den Talkessel führten. Auf richtige Wanderwege kamen sie nicht, und so war der Marsch reichlich halsbrecherisch. Trotzdem telefonierten sie während des Abstiegs, sie hatten sich die einzelnen Hubschrauberleitstellen untereinander aufgeteilt. Nach einer halben Stunde wurden die Abhänge flacher, der Gewaltmarsch war nicht mehr gar so anstrengend, schließlich konnten sie den dunkelblauen Fleck des Stürfelsees erkennen.
»Da schau hin, da kommen wieder so Business-Gschaftlhuber!«, sagte ein Angler zum anderen, als sie das Ufer des Stürfelsees erreicht hatten. »Keine richtigen Bergklamotten – aber jeder hat ein Handy in der Hand.«
Von ferne mochten die Beamten noch als solche durchgehen, bei näherer Betrachtung sahen sie allerdings nicht aus wie überwichtige Angehörige der Businessclass, Euro-Krise hin oder her. Zerlumpt waren sie, blutend und zerkratzt durch die ungewöhnliche Waldfahrt und den anschließenden Abstieg. Am schlimmsten hatte es Jennerwein getroffen. Sein Hemd war blutdurchtränkt, er sah aus, als hätte er einen roten Brustpanzer angelegt. Doch das schien ihn nicht weiter zu stören. Er klappte sein Handy zu. Er hatte gerade mit einem Tiroler Kommandanten des Bundesheers gesprochen. Nein, Fehlanzeige, seit Tagen hätte kein österreichischer Hubschrauber mehr die Grenze überschritten, woll woll. Jennerwein wandte sich an Stengele.
»Hat Ostler sich schon aus dem Krankenhaus gemeldet?«
»Nein, noch nicht«, antwortete Stengele.
»Ich habe ohnehin meine Zweifel, ob die Äbtissin gerade dort versucht, zu entkommen. Gewirr und Chaos herrscht da, ja, das mag schon sein. Trotzdem kann man nicht einfach reinmarschieren und Auf gehts! zu einem Hubschrauberpiloten sagen. Die Flüge werden doch alle über die Leitstelle koordiniert. Da müsste man schon in den Funkverkehr eindringen und dort einen fiktiven Krankentransport erfinden.«
»Technisch ist das möglich.«
»Aber haben Sie gesehen, was sie für einen Rucksack dabeigehabt hat? Passt da ein kompletter Funksender rein?«
»Möglich wäre es.«
»Möglich schon. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sie den immer mit sich schleppt!?«
Ostler fuhr mit dem Auto durch den Kurort. Er verzichtete auf Blaulicht und Sirene, er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Ostler dachte nach. Was hatte die Frau vor? Die eine Möglichkeit wäre, sich in den Funkverkehr einzumischen. Das war möglich, aber technisch hochkompliziert. Es gab aber noch eine andere Möglichkeit, mit dem Hubschrauber zu entkommen. Man müsste den mitfliegenden Arzt ausschalten und statt seiner einsteigen.
»Mein Name ist Dr. Müller.«
»Wo ist Dr. Meier?
»Der hatte einen Hexenschuss, ich bin jetzt der Diensthabende. Beeilen Sie sich!«
So etwas in der Art. Vielleicht kein Hexenschuss, sondern etwas Dramatischeres. Ostler stellte das Auto auf den Parkplatz vor dem Klinikum. Er sprang heraus und eilte zum Hintereingang der Notaufnahme. Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als seinen Schützling, den Wolzmüller Michl, beim Bürgermeister im örtlichen Gefängnis zu parken. Da war er am sichersten. Der Michl wollte wissen, für was denn das schon wieder gut sein sollte. Ostler hatte es ihm gesagt. Er hatte ihm die
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