Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
auf dem Hof unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Es gibt noch einen Sohn, den Michl. Der lebt in Grainau, zurückgezogen, manche sagen, er ist geistig verwirrt. Aber das wird uns in vorliegendem Fall kaum weiterhelfen.«
»Hm«, sagte Jennerwein.
Ostler bretterte wie blöd. Sie fuhren jetzt schon eine gute Stunde. Bisher hatten sie noch niemanden gesehen. Weder Wanderer noch Teammitglieder.
»Wir sind da«, sagte Ostler und blieb mitten im Weg stehen. »Wir müssen bloß noch ein paar hundert Meter gehen.«
Der Weg war steil, kleine Bäche von lehmig-schmutzigem Wasser flossen ihnen entgegen. Das Gehen war beschwerlich, sie rutschten öfters aus.
»Solche Tatorte liebe ich«, sagte Jennerwein seufzend. »Wenn ich Mörder wäre, würde ich warten, bis es regnet, und dann mit meinem Opfer einen Spaziergang auf die Alm machen.«
Als sie beim Hof ankamen, waren sie klatschnass. Ganshagel lief ihnen auf den letzten paar Metern mit einem Regenschirm entgegen.
»Danke«, sagte Jennerwein. »Aber Sie kommen zu spät.«
Als sie drinnen waren, bemerkte Jennerwein Ganshagels Augenringe.
»Hatten Sie eine schlaflose Nacht?«
»Nein, wieso?«, stotterte Ganshagel. Er war ein guter Hüttenwirt, aber ein schlechter Lügner.
»Sie haben die Leiche in den frühen Morgenstunden gefunden. Sie erzählen mir am besten alles der Reihe nach, auch von der Nacht und vom gestrigen Abend.«
»Ja, gerne, Herr Kommissar.«
Ganshagel begann zu erzählen. Alles erzählte Ganshagel den beiden Beamten natürlich nicht.
12
Russische Schachspieler reden von »im Unterholz sein«, wenn sie sich in zahlenmäßiger Unterlegenheit befinden. Auch beim Eishockey hat dieser Begriff Eingang gefunden.
Er erzählte ihnen zum Beispiel nicht, dass er die Leiche schon um Mitternacht entdeckt hatte. Die Nacht war schwarz gewesen wie die abgeschabte Lederhose eines Schlierseer Trachtenvereinsvorsitzenden. So hoffnungslos schwarz war die Nacht über der Wolzmüller-Alm, als Rainer Ganshagel vor der Leiche stand, nachdem die Graseggers wieder weggefahren waren. Gott sei Dank hatten die Ex-Bestatter der Frau den Schlapphut wieder tief ins Gesicht gezogen, denn allein schon der Gedanke an das Gekrabbel und Gewusel der Knöcherlputzer ließ Ganshagel erschaudern. Er knipste seine Taschenlampe aus und ging langsam zurück zum Haupthaus des Anwesens. Rainer Ganshagel machte sich allergrößte Sorgen über seine Zukunft. Sollte alles, was er sich die letzten zwei Jahre aufgebaut hatte, den Bach hinuntergehen? Bald würde es hier von Polizei, sicher auch von Presse wimmeln, und spätestens dann war es aus mit dem diskreten Refugium für gestresste Business-Manager, die ihre Ruhe haben wollten. Ganshagel kratzte sich am Kopf. Sollte er den Bürgermeister persönlich herausklingeln? Aber was würde das bringen? Der Bürgermeister konnte ihm die Leiche auch nicht wegschaffen. Der Bürgermeister hatte ihm damals geholfen, das heruntergekommene Anwesen zu renovieren, die Gemeinde hatte einiges an Geld- und Sachleistungen hineingesteckt, um hier oben eine schier luxushotelähnliche Anlage zu bauen, mit unterirdischem Schwimmbad, Sauna und Fitnessraum. Herzstück des Anwesens war ein Medienraum, der mit allen Schikanen der modernen Kommunikationstechnik ausgestattet war. Die ersten Teilnehmer der Seminare hatte ihm der Bürgermeister geschickt:
»Am nächsten Wochenende zwanzig Leute, nordindische Küche mit viel Curry, ein paar Weißwürste dazu, geht das? Und ein Spruchband, auf dem irgendeine passende Begrüßung steht? Vielleicht was auf Indisch – sowas wie Hai Ram ?«
Ganshagel hatte alles möglich gemacht. Er hatte sogar diese schreckliche Übersetzung von Grüß Gott auf das Spruchband drucken lassen, natürlich auf Hindi. Er musste den Bürgermeister wenigstens informieren. Später. Nicht jetzt, um drei Uhr morgens.
Der Hüttenwirt blickte noch einmal kurz zurück. Die lederhosenschwarze Dunkelheit hatte die Leiche vollständig verschluckt, denn der Mond, der feige Geröllhaufen dort oben, hielt sich immer noch hinter dicken Wolken verborgen. Ganshagel blieb abermals stehen. Er hatte den Personalausweis der Toten vorhin in seine Hosentasche gesteckt, er zog ihn jetzt heraus und betrachtete das Bild im Schein der Taschenlampe. Es war eine eher zierliche Frau Ende dreißig, eine unauffällige, jugendliche Erscheinung mit hellen, nach hinten gekämmten Haaren. Die Frau blickte genervt. Wenn man das Bild lange genug betrachtete, bekam der
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