Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
weiterer Jeep bretterte den steilen Weg zur Wolzmüller-Alm hinauf. Hauptkommissar Ludwig Stengele saß am Steuer und fluchte über den biblisch herabströmenden Regen, der den Weg glitschig und schier unbefahrbar machte. Neben ihm saß die Polizeipsychologin Frau Dr. Maria Schmalfuß, die Hände in die Sitzpolster verkrampft, den Blick starr bergeinwärts gerichtet, denn alles, was mit Höhe, Aussicht, Abgrund, Fallen und Tiefe zusammenhing, war ihre Sache nicht. Der psychologisch korrekte Fachausdruck dazu war Akrophobie, Höhenangst genannt. Von ihr selbst als ziemlich unheilbar klassifiziert.
»Wir müssen den Rest der Strecke zu Fuß gehen«, knurrte Ludwig Stengele, der vierschrötige Allgäuer aus Mindelheim. Eigentlich klang es so wie miamiassatdareschtlouffa . Er ließ den Jeep mitten im Weg stehen. Maria murrte.
»Kommen Sie, Frau Doktor. Hilft nichs.«
»Wie weit ist denn noch?«, rief sie ihm nach.
»Ein paar hundert Meter bis zum Hauptgebäude der Alm. Ich war auch noch nie hier oben.«
Sie kämpften sich durch den Regen und stolperten und rutschten durch das unwegsame Gelände. Sie liefen an Spurensucher Becker und seinen zwei Mitarbeitern vorbei, die immer noch draußen rund um die Zirbel arbeiteten. Sie grüßten sich. Becker deutete auf seine Armbanduhr: Die Zeit läuft mir davon! Als Maria und Stengele endlich am Hauptgebäude der Alm ankamen, waren sie patschnass, wie alle anderen auch. An der Tür erwartete sie Rainer Ganshagel.
»Kommen Sie herein«, sagte der Hüttenwirt, eine Spur zu beflissen, wie Maria fand. »Wollen Sie auch einen Kaffee?«
Maria Schmalfuß und Jennerwein nickten sich lächelnd zu.
»Endlich sind Sie da, Maria!«, rief Jennerwein erfreut. Er machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Ganshagel. Marias Gesichtsausdruck war eindeutig: Ja, ich weiß, dieser Mann hier ist nervös. Alle setzten sich um einen großen runden Tisch, der im Foyer des Hauptgebäudes stand.
»Wollen Sie vielleicht was Trockenes anziehen? Ich habe –«
»Später«, sagte Jennerwein. »Wir haben ein paar dringende Fragen, die keinen Aufschub dulden.«
»Ja, natürlich. Fragen Sie.«
»Aber einen Kaffee nehmen wir gerne. Ich darf vielleicht inzwischen mein Team vorstellen. Das ist die Polizeipsychologin Frau Dr. Maria Schmalfuß. Vier Zucker ohne Milch, soviel ich weiß. Das ist Hauptkommissar Ludwig Stengele.«
»Ganz schwarz«, sagte Stengele.
»Polizeiobermeister Johann Ostler kennen Sie ja schon, und draußen die Spurensicherer haben sich sicher schon selbst vorgestellt.«
Ganshagel teilte Kaffee aus. Wenn er etwas zu tun hatte, dann war dem rührigen Hüttenwirt wohler.
»Schade, dass wir uns unter solchen Umständen hier treffen müssen«, sagte er. »Ich hatte gehofft, dass die Polizei wieder einmal ein Fortbildungsseminar bei mir hier oben veranstaltet.«
»Vielleicht später mal«, sagte Jennerwein kühl. Er fühlte sich nicht wohl in seinen nassen Klamotten. Der Regen draußen schien noch stärker zu werden. Noah hätte um diese Zeit schon längst mit den Säugetieren angefangen.
»Herr Ganshagel, ich komme am besten gleich zur Sache. Sie haben mir ja freundlicherweise den Personalausweis der Toten gegeben. Es handelt sich um Luisa-Maria Miller, achtunddreißig, deutsch, geboren in Bielefeld und so weiter. Die Identitätsüberprüfung läuft noch. Herr Ganshagel, wissen Sie mehr über diese Frau?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Ganshagel, »ich habe sie gar nicht persönlich gesehen. Wir waren gestern Nachmittag alle auf dem Feld, als sie ankam. Sie hat ihre Tasche auf die Theke an der Rezeption gestellt, in einem Seitenfach steckte deutlich sichtbar der Ausweis. Den habe ich an mich genommen.«
Er blickte die Polizisten der Reihe nach an. Sie hatten freundliche, offene Gesichter. Er misstraute ihnen trotzdem. Die Psychologin war ihm einen Klacks zu schnippisch. Stengele war ein grober Klotz, aus dessen furchigem Gesicht man nichts lesen konnte. Ostler hatte ein bauernschlaues, freundliches Lächeln aufgesetzt, wie man es oft bei den Einheimischen drunten im Kurort sah. Und Jennerwein? Ganshagel hatte das Gefühl, dass er bei diesem Mann am meisten aufpassen musste, was er sagte. Alle schienen darauf zu warten, dass er weiterredete.
»Ansonsten ist mir gestern nichts Besonderes aufgefallen –«
So, wie draußen der Regen herabplätscherte, so spulte Ganshagel den gestrigen Tagesablauf herunter. Frühstück, Seminare, Stühleaufstellen im Medienraum, Einkaufen,
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