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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Verbrecher. Ich habe mir die Bilder vom Tatort und vor allem von der Leiche genau angesehen. Sie gibt uns einen Fingerzeig. Sie verrät uns etwas über diesen Täter. Wir wissen bloß noch nicht, was.«

19
Unterholz: Holzsplint, der in die Kopfseite des Holzstiels (zum Beispiel eines Beils oder eines Spatens) eingeschlagen wird, um das Oberholz hier zu verbreitern und in den Ring der Halterung (Beilhaus oder Tülle) einzupassen.
    Darf ich mich vorstellen: Ich bin ein Klappspaten. Ich kann schon ein wenig stolz auf mich sein, denn ich bin von einem belanglosen Baumarkt-Artikel zu einem der gesuchtesten Tatwerkzeuge aufgestiegen. Als Spaten gehöre ich zur Familie der Hieb- und Schlagwaffen, mir ist natürlich klar, dass ich in der Hierarchie weit unter all den Pistolen und Messerchen, Giftspritzen und Klavierdrähten stehe – deren Eleganz werde ich nie erreichen, aber was solls: Ich bin nun einmal, was ich bin.

    Momentan lehne ich leicht schräg an einer Zimmerwand, und ich stehe, damit ich keine Spuren auf dem Boden hinterlasse, auf einem weißen Handtuch mit dem Aufdruck Guten Morgen! Man hat mich vorher sorgfältig unter fließendem Wasser abgebürstet, deswegen tropfe ich noch leicht. Ich fühle mich rein und neuwertig. Fabrikfrisch, fast unausgepackt. Trotzdem weiß ich ganz genau, dass ich nur relativ oberflächlich gesäubert worden bin. Denn angenommen, es erschiene jetzt ein leibhaftiger Spurensicherer auf der Bildfläche, der mich mit allen technischen Schikanen untersuchte, von der Computertomographie bis zur Röntgenphotoelektronenspektroskopie, dann hätte das bloße Abwischen nicht gereicht. Natürlich nicht. Um dem heutigen Stand der Spurensicherung ein Schnippchen zu schlagen, hätte man mich schon in den Sterilisator eines Krankenhauses geben und dort bei 100 Grad schmoren lassen müssen. Aber das ist in meinem Fall gar nicht nötig, denn solch eine kriminaltechnische Untersuchung ist nicht zu erwarten. Ich soll nämlich an einen Ort gebracht werden, wo dieser ganze Firlefanz unnötig ist. Wo ich quasi mit einer neuen Identität ausgestattet werde und wieder ganz von vorne anfangen kann.

    Vor meiner Umwandlung zur gefährlichen Tatwaffe war ich ein Klappspaten der Marke Gartenfreund, ich bin von einem großen deutschen Gartengerätehersteller sorgsam entwickelt, serienmäßig produziert und mit viel unternehmerischer Umsicht auf dem europäischen Markt lanciert worden. Wie alle meine Markengenossen habe ich einen rutschfesten Griff aus leichtem Aluminium, die Teleskopstange kann man in Sekundenschnelle herausziehen, das Scharnier ist ebenfalls leicht ein- und aufklappbar, und dann, der Hammer: Wir von der Marke Gartenfreund sind trotzdem ab-so-lut stabil! Unsere leicht spitz zulaufenden Blätter sind aus schwerem verzinkten Eisen, sie sind flach, die Blätter, bis auf eine kleine, wirklich winzig kleine Rille in der Mitte, aber diesen Abdruck findet kein Gerichtsmediziner dieser Welt im Gesicht der Zielperson wieder. Oder vielleicht doch? Und wenn schon: Was spielt das schon für eine Rolle. Überhaupt keine! Was bringt ihnen das, wenn sie die Marke des Tatwerkzeugs herausfinden? Nichts, absolut nichts.

    Ein Schatten fällt auf mich. Behandschuhte Hände greifen nach mir. Ich weiß, dass jetzt der raffinierte Teil des Plans kommt: Ich bin im örtlichen Baumarkt gekauft worden, und genau dort soll ich auch wieder hingebracht werden. Der Schatten hält mich hoch und trocknet mich behutsam ab. Er sieht sich im Zimmer um. Alles ist gut, es gibt keine weiteren Spuren. Ich werde wieder in die Originalverpackung zurückgesteckt, dann werde ich in eine Plastiktüte mit dem Logo des örtlichen Baumarkts verfrachtet. Ich bin ein bisschen stolz auf mich. Ich habe niemand Geringeren als die Äbtissin um die Ecke gebracht. Ich habe die international gesuchteste und gefürchtetste Auftragskillerin ausgeknockt. Ihr Ruf, der ihr vorauseilte, war furchtbar. Sie hatte einen unnachahmlichen Stil, sie hat sauber, schnell und zuverlässig gearbeitet. Und sie hat keine Spuren hinterlassen. Sie war nicht eben billig, die Äbtissin, aber das sind hochklassige Fachleute nie. Ein einfacher Klappspaten vom Baumarkt hatte sie hinuntergeschickt in die Killerhölle.

    Jetzt werde ich mitsamt Originalverpackung und Tragetüte hochgehoben, und ich weiß: Der Schatten verlässt mit mir das Zimmer. Er hat den Spaten wohl in dem Arm, er fasst ihn sicher, er hält ihn warm  – auch ein Klappspaten kennt seine Klassiker. Wir

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