Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
gesagt, man kann sich auf dich verlassen.«
Ganshagel nickte verzweifelt.
»Du hast uns nicht gesehen. Du siehst uns vielleicht nochmals, aber dann erkennst du uns nicht. Dann sind wir ganz fremd für dich. Wenn man sich aber nicht auf dich verlassen kann –«
Dilip Advani nahm eine Handvoll Erde hoch.
»Bei uns in Indien gibt es eine Redewendung: Jemand hat sich an seiner eigenen Heimaterde verschluckt. Verstehst du diesen Ausdruck?«
»Jaja, ich glaube schon«, stotterte Ganshagel.
Die Unterhaltung mit dem Knollennasigen war angenehmer gewesen.
Drei Wanderer mit erdfarbenen Parkas fielen im Kurort überhaupt nicht auf. Pratap Prakash blieb in einer Straße stehen, in der sich eine Frühstückspension an die andere reihte. Er zeigte auf ein einladendes Gebäude mit blühendem Vorgarten. »Hier ist es. Pension Üblhör, Schröttelkopfstraße. Das ist die Adresse, die in unserem Seminar-Pack als sicheres Ausweichquartier vorgesehen ist. Keine Ausweiskontrolle, keine Fragen, sichere Fluchtwege.«
Der stumme Raj Narajan schrieb etwas in seinen Notizblock. Die beiden anderen warteten geduldig. Dann betraten sie den ausgesprochen gepflegten Vorgarten des Gästehauses.
»Wollen wir wirklich in diesem Kurort bleiben?«, gab Dilip Advani zu bedenken. »Nach dem Vorfall auf der Alm wird es bald nur so wimmeln von Polizei.«
»Das glaube ich nicht. Wir befinden uns hier in der tiefsten Provinz. Da sind die Polizeikräfte nicht so gut ausgebildet. Diesen kleinen Kurort zu verlassen und dann in der Gegend herumzufahren erscheint mir wesentlich riskanter, als hierzubleiben. Wir werden den Zeitpunkt unseres Auftrags hier abwarten. Der Auftrag ist wichtig. Nicht nur für uns, sondern auch für die Gilde. Der Chef wäre sehr ärgerlich, wenn wir unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren würden. Wir gehen in diese Pension. Rede du zur Wirtin, du sprichst am besten Deutsch.«
Dilip Advani hatte die deutsche Sprache an der University of Mumbai gelernt, und er sprach in hochklassischem Friedrich-Schiller’schen Duktus.
»Edle Dame«, sagte er zu der Frau an der Rezeption. »Wir bitten Euch, wenn Ihr erlaubt, um Kost und Bleibe, und reicher Lohn sei Euch gewiss in fern’ren Tagen –«
Die Üblhör Rosalinde zeigte den drei curryhäutigen Männern das Zimmer und kümmerte sich nicht weiter um sie. Sie ahnte nicht, was für gefährliche Gäste sich unter ihrem Dach einquartiert hatten.
18
Im Kratt snack Platt.
Sprichwort aus Leer
Polizeiobermeister Johann Ostlers Arme hingen schlaff und in unnatürlicher, verdrehter Weise nach unten. Vielleicht ein bisschen übertrieben verdreht, aber unzweifelhaft rigomortal verkrampft. Es war vier Uhr nachmittags, man hatte im Besprechungszimmer des örtlichen Polizeireviers Tische und Stühle beiseitegeräumt, Ostler hockte mitten im Raum am Boden, er spielte die tote Frau Miller. Als Zirbe musste ein Kleiderständer herhalten, daran lehnte Ostler momentan in sitzender Haltung. Als Schlapphut hatte Maria ihren breitkrempigen Strohhut zur Verfügung gestellt, der eigentlich für die sonnigen Tage im Kurort gedacht war. Fast das vollständige Team stand um Ostler herum, Becker trat jetzt näher und gab ihm einen kleinen Schubs. Brav fiel die Leiche nach rechts zu Boden.
»Nach dem Schlag kippt das Opfer zur Seite und fällt ins Gras«, sagte Becker. Er blickte sich erwartungsvoll in der Runde der versammelten Polizisten um. »Dann wird die Frau vom Täter wieder in die sitzende Haltung aufgerichtet. Sehen Sie: So hat er sie gepackt. So hat er sie hochgezogen. Das alles ergibt sich aus den Spuren, die ich am Boden gefunden habe.«
»Warum wurde sie nicht liegen gelassen?«, fragte die Leiche höchstpersönlich.
»Der Täter wollte Zeit gewinnen«, antwortete Jennerwein. »Das Opfer sollte möglichst lang unentdeckt bleiben. Deshalb hat er ihr auch den Hut wieder aufgesetzt.«
Becker nickte bestätigend. Maria Schmalfuß schüttelte den Kopf.
»Also nochmals, für alle Psychologen unter uns: Die Frau sitzt ohne Hut da. Sie sonnt sich. Dann kommt jemand und wirft einen Schatten auf sie. Sie blickt auf, der Schatten versetzt ihr mit irgendeinem Gegenstand einen Schlag ins Gesicht. Ihr Körper kippt um, der Schatten richtet sie wieder auf und setzt ihr den Hut auf den Kopf. Riskiert denn dieser Schatten wirklich so viele Spuren – am Hut, am Körper, auf dem Boden –, nur um Zeit zu gewinnen?«
Jennerwein wandte sich an Becker.
»Sind Sie sicher, dass ihr der Hut erst
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