Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
sein Jackett ausgezogen hat bei der Hitze. Der soll in Frankreich einiges durcheinandergewirbelt haben. In der hohen Politik sogar. Weiß mans. Geredet wird viel. Auch in diesem Geschäft.«
»Aber sag einmal, Swoboda«, unterbrach Ursel. »Wer hat so eine geniale Person erledigt? Das muss doch jemand von den Teilnehmern gewesen sein.«
»Ich bin mir nicht sicher«, murmelte Swoboda in seinen falschen Geißbart, den er sich wieder angeklebt hatte. »Möglich ist das, ja. Was hätte das aber für einen Sinn! Um die Aufträge der Äbtissin zu übernehmen? Kann ich mir nicht vorstellen. Um ein Zeichen zu setzen? Aber was für eines? Ein mögliches Szenario könnte folgendes sein: Jemand kommt von außerhalb auf die Alm. Die Seminarteilnehmer sind sich allzu sicher da droben, sie werden leichtsinnig und unaufmerksam. Und dann schlägt er zu. Hart und professionell. Er lenkt den Verdacht natürlich auf niemand anderen als auf die versammelte Killerelite, und die müssen schnellstens verschwinden. Die Polizei kommt, meint, sie sind deshalb abgehauen, weil sie etwas mit dem Mord zu tun haben. Die Haberer finden niemanden, stellen die Ermittlungen ein. In Wirklichkeit ist es aber vielleicht jemand aus dem Kurort, jemand direkt in ihrer unmittelbaren Nähe. Das wär doch ein geniales Manöver!«
»Ja, sag einmal, Swoboda, hast du vielleicht selbst –«
Der Österreicher lachte auf.
»Aber was denkt ihr denn! Ich bin ein Strofinaccio, ein Ausputzer und Problemlöser – und kein Knipser.«
»Die Ermittlungen werden noch ganz schön kompliziert werden«, sagte Ignaz.
»Bloß gut, dass wir uns da rausgehalten haben«, sagte Ursel stirnrunzelnd.
Ignaz wandte sich an Swoboda. »Aber sag einmal: Warum bist du wieder zurückgekommen? Hast du uns vielleicht etwas mitgebracht?«
Swoboda nahm seinen Rucksack ab. Er stellte ihn, ohne die Gesetze der Pietät weiter zu beachten, auf den breiten Lockenkopf eines gipsernen Engels, der das Grab des ehemaligen Baurats Gramml schmückte. Er öffnete den Rucksack langsam und bedächtig. Ursel und Ignaz warfen einen Blick hinein. Ursel schnappte nach Luft. Ignaz schluckte.
Die Graseggers waren momentan knapp bei Kasse. Ihr Vermögen war eingezogen worden, und an die umfangreichen Schwarzgelder in Italien kamen sie nicht heran. Zudem hatten sie Berufsverbot. Sie durften nicht mehr als Bestatter arbeiten. So lauteten nun einmal die Bewährungsauflagen. Swoboda holte aus dem Rucksack etwas heraus, das wie ein in Zeitungspapier eingeschlagenes Brotzeitweckerl aussah, ein italienisches Brotzeitweckerl allerdings, denn das schwere Trumm war in den Corriere della Sera eingewickelt.
Das hätte Ursel nicht erwartet. Ihre Nüstern bebten, ihre Hände zitterten. Sie öffnete ihre Handtasche, und Swoboda ließ das Objekt hineingleiten.
»Und was ist das gute Stück wert?«
»Achtzig- oder neunzigtausend schon. Ich habe mir gedacht, in Zeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist das das Beste. Damit ihr nicht dauernd eure Kinder anpumpen müsst.«
»Aber ein Goldbarren! Wie sollen wir den verflüssigen? Wir bräuchten eigentlich sofort was!«
»Verflüssigen ist ein gutes Stichwort. Ihr feilt ein Stückerl ab, so um die fünf Gramm etwa, schmelzt es ein und werft es in kaltes Wasser, so wie beim Bleigießen an Silvester. Es muss am Ende so aussehen wie abgelöstes Zahngold. Dann macht ihr eine schöne Rundreise und klappert die Geschäfte ab, die Bares gegen Zahngold bieten. Davon gibt es reichlich. Und nie vergessen: Nicht gierig werden – immer kleine Mengen anbieten.«
Swoboda verschwand so schnell, wie er gekommen war. Der Spätnachmittag wurde fest und golden, wie der Barren in Ursels Handtasche. Ursel griff hinein und betastete das preziöse Weckerl immer und immer wieder.
»Warte halt, bis wir daheim sind«, mahnte Ignaz.
»Schade, dass wir den zerstückeln müssen, wirklich jammerschade.«
»Komm, gehen wir ins Polizeirevier, unsere tägliche Pflicht erfüllen.«
Die Sonne tauchte jetzt ins Kramermassiv ein. Die ehemaligen Bestatter gingen die Reihen der Gräber entlang. Sie nickten und grüßten nach allen Seiten. Wem hatten sie nicht alles den letzten Dienst erwiesen! Einem ehemaligen Bürgermeister (schlicht), einem Ritter der Ehrenlegion (angemessen protzig), einer altehrwürdigen Werdenfelser Familie (Granit). Und am Ende der Reihe stand, reichlich prächtig für einen ehemaligen Almbauern:
Hier »ruht«
ANDREAS WOLZMÜLLER
vulgo Dicktl Anderl
Almwirt,
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