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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Du, schau: schon wieder eine Gemse!«
    Sie beugten sich noch weiter und noch kühner über die Kante. Gute dreihundert Meter ging es steil bergab. Unten war dichter Wald zu sehen. Beide waren zwar schwindelfrei, aber langsam stieg doch das gewisse süße Unbehagen auf, der Thrill der Tiefe. Diese Felskante war nicht mit preußenfreundlichen Geländern gesichert – da hätte man ja auch viel sichern müssen in den Alpen. Die Internistin drehte sich um. Sie hatte ein Geräusch gehört. Ein paar Steinchen kamen ihr entgegengekullert. Ein großgewachsener Mann war gerade dabei, auf das kleine Hochplateau der Törlspitze zu klettern, er war nur noch fünfzehn oder zwanzig Meter von ihnen entfernt. Er hatte die Sonne im Rücken, man sah kaum mehr als seine Silhouette. Er kam direkt auf sie zu.
    Der Neurologe riss die Augen auf.
    »Aber das gibts doch nicht – das ist ja –«, stotterte er.
    Er ließ vor Schreck die Landkarte fahren. Der Plan des Werdenfelser Landes im Maßstab 1 : 10000 flatterte hinunter wie ein bunter Vogel, der endlich in die Freiheit entlassen wurde.
    Die Gestalt warf einen Schatten auf den Neurologen. Dann wurde es kalt und still.

25
A cow with its tail to the sky
makes the weather sunny and dry,
A cow with its tail in the brush
makes a terrible weather gush.
Schottische Bauernregel in bedauerlichem Englisch
    Es war kurz vor sechs Uhr abends. Die Luft im Talkessel perlte quirlig und frisch wie Champagner, die ersten Föhnwolken schluderten lässig über die Wettersteinwände. Ein warmer Südwest trieb eine Armada von Brennnesselpollen durch den Ort. Ignaz und Ursel Grasegger schlenderten auf das örtliche Polizeirevier zu. Je näher sie kamen, desto langsamer wurden sie. Schließlich blieb Ursel stehen, sie sah sich um und vergewisserte sich, dass sie alleine waren.
    »Ignaz, ich wette, dass sie uns gleich eine Kopie des Passfotos zeigen. Sie werden uns fragen, ob wir die Frau kennen. Haben wir es wirklich drauf, nein zu sagen, ohne mit der Wimper zu zucken?«
    »Da hast du recht. Die Psychologin kann man vielleicht noch überlisten. Aber der Jennerwein, das ist ein Fuchs. Der durchschaut uns sofort.«
    »Also, was schlägst du vor?«
    »Ich weiß nicht so recht. Wir sollten es nicht darauf ankommen lassen.«
    Ursels Blick verfing sich in den wilden Brennnesselfeldern am Ufer der Loisach.
    »Ich glaube, ich habe eine Idee«, sagte sie listig.

    Im Besprechungszimmer des Polizeireviers stand eine plumpe, nicht eben modische Damenhandtasche auf dem runden Tisch. Sie war leer, ihr Inhalt war schön säuberlich daneben ausgebreitet.
    »Wie Sie sehen«, dozierte Frau Dr. Maria Schmalfuß, »haben sich keinerlei außergewöhnliche Gegenstände in der Tasche befunden.« Bedeutungsvoll fügte sie hinzu: »Auf den ersten Blick nicht.«
    Alle beugten sich vor, um den Krimskrams in Augenschein zu nehmen: ein Päckchen Papiertaschentücher, zwei Augenbrauenstifte, ein Kugelschreiber, ein Bleistiftstummel, ein Lippenstift, ein eingeschweißtes Büchlein mit Sinnsprüchen, ein Parfümfläschchen, eine Cremedose, ein unbenutztes Nähset, ein Prospekt mit Restaurant-Empfehlungen und vieles mehr.
    »Was Ihnen vermutlich als Erstes auffällt, ist die Tatsache, dass nichts Persönliches dabei ist, kein Adressbuch, kein Notizheft, auch keine sonstigen handgeschriebenen Zeilen. Gut, das ist im digitalen Zeitalter nichts Besonderes. Alles Persönliche ist heutzutage auf dem Handy gespeichert. Luisa-Maria kann so ein Ding in ihrer Hosentasche getragen haben, der Mörder kann es ihr nach der Tat abgenommen haben.«
    »Und? Was soll uns das bringen?«, fragte Stengele ungeduldig. Schon in der Schule hatte er es gehasst, wenn Lehrer das Ergebnis künstlich hinausgezögert hatten. Maria Schmalfuß erinnerte ihn stark an seinen alten Mathematiklehrer.
    »Ich führe Ihnen das, worauf ich hinauswill, am besten mal vor.«
    Maria erhob sich und schritt in die Mitte des Raums, sie stellte sich so, dass alle sie in voller Größe sehen konnten.
    »Fällt Ihnen etwas an mir auf?«
    Sechs neugierige Augenpaare waren auf sie gerichtet, die von Becker und der Frau im Rollstuhl, die von Ostler und Stengele, die von Nicole und natürlich die von Jennerwein. Sogar die international gesuchten Verbrecher, die auf den Fahndungsfotos an der Wand zu sehen waren, der Bankräuber, der Feuerteufel und der Gattenmörder, alle schienen Maria kritisch zu mustern. Jennerwein lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen. Maria trug eine

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