Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
sein, dass es Luisa-Maria einfach eilig hatte. Sie ist in ein Kaufhaus gegangen, hat sich das Zeug zusammengekauft und ist damit hierhergefahren.«
»Nicht so schnell, Nicole«, sagte Jennerwein. »Darin könnte eine Spur liegen.«
»Aber –«
Hölleisen steckte den Kopf zur Türe herein.
»Wir haben Besuch. Sie wollten, dass ich Sie benachrichtige, Chef.«
Jennerwein erhob sich. Er und Ostler nickten sich zu.
»Bevor wir gehen, eines noch«, sagte Jennerwein. »Ich weiß, dass die Familie Grasegger zum Ortsbild gehört und auch bei Ihnen viel Sympathie genießt. Dennoch sollten wir nicht außer Acht lassen, dass es sich um verurteilte Straftäter mit ausgezeichneten Kontakten zur Mafia handelt. Sie dürfen keinesfalls Verdacht schöpfen, dass wir sie für unsere Zwecke benutzen. Und niemals dürfen sie Kenntnis über den Stand unserer Ermittlungen erhalten. Wir können ihnen nicht trauen.«
»Wir stellen ihnen ja nur eine Frage«, sagte Ostler.
»Eine einzige Frage, mehr nicht.«
»So, dann sieht man sich auch einmal wieder«, schmunzelte Ignaz Grasegger im Vorraum des Polizeireviers.
»Ja, so schnell sieht man sich wieder«, doppelte Jennerwein.
»Wir kommen zur üblichen Besuchszeit«, sagte Ursel und schniefte. »Immer kurz vor dem Abendgebet.«
»Ja, das glaube ich Ihnen gerne, das mit dem Abendgebet«, sagte Jennerwein.
Maria war mit ihm durch die Tür geschlüpft, sie beobachtete die Szene aus dem Hintergrund. Das war so besprochen. Die Graseggers würdigten die Psychologin keines Blickes. Sie ließen sich durch diese eindeutige Beobachtungsposition nicht aus der Ruhe bringen. Profis, dachte Maria. Drei Jahre Italien haben sie zu Meistern der Coolness gemacht.
»Sie haben sicher schon von den Ereignissen auf der Wolzmüller-Alm gehört?«, fragte Jennerwein.
»Ja, flüchtig.«
»Kennen Sie diese Frau?«, sagte Jennerwein so beiläufig wie möglich. Er hielt ihnen das vergrößerte Passfoto entgegen.
Sowohl Ignaz als auch Ursel hatten das Bild heute Nacht schon einmal gesehen. Sie wussten, wer die Frau war. Sie hatten Padrone Spalanzanis Finger weg! noch im Ohr beziehungsweise vor Augen. Sie wussten, dass sie jetzt gezuckt hätten. Oder dass sie auf übertriebene Weise nicht gezuckt hätten. Jennerwein und Maria hofften auf diesen Effekt. Die Graseggers hatten jedoch Vorkehrungen getroffen. Ignaz beugte sich als Erster über das Bild. Er kniff die Augen zusammen.
»Ach, entschuldigen Sie, Herr Kommissar – hatschi!«
Ignaz drehte sich um und putzte sich die Nase.
»Nein, kenn ich nicht«, schniefte er und blinzelte mit geröteten Augen zu dem Bild hin. »Heuschnupfen, unangenehme Sache. Brennnesselpollen, wohin man schaut.«
Fehlversuch, dachte Maria. Profis eben.
»Sie wissen schon, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie etwas verschweigen«, sagte Jennerwein in ruhigem, aber schneidendem Ton. »Da ist es gleich vorbei mit der Bewährung.«
»Natürlich, Herr Kommissar. Selbstverständlich wissen wir das.«
Ursel warf ebenfalls einen kurzen Blick auf das Bild. Auch sie zog die Heuschnupfen-Arie durch.
»Nein, noch nie gesehen. Wer ist das?«
»Das versuchen wir gerade herauszufinden«, sagte Jennerwein.
Das Ehepaar erhob sich. Ursel Grasegger griff in ihre Handtasche, wie um sich zu vergewissern, dass sie nichts vergessen hatte. Ihre Augen weiteten sich. Ignaz bedachte sie mit einem strafenden Blick.
»Auf Wiedersehen, Herr Hauptkommissar. Wenn wir Ihnen sonst noch helfen können –«
Als Maria und Jennerwein alleine waren, standen sie noch eine Weile nachdenklich da.
»Das ist aber ärgerlich!«, sagte Maria. »Wir haben keine Chance gehabt.«
»Einen Versuch war es sicherlich wert«, sagte Jennerwein. »Aber so einfach können wir die nicht packen. Einzeln vielleicht schon. Aber zusammen sind sie unangreifbar.«
»So wie wir, nicht wahr?«
Das war Maria einfach so herausgerutscht. Wieder entstand eine Pause.
»Und Sie haben sich extra wegen der Demonstration neu eingekleidet, Maria?«
»Ich wollte mir ohnehin neue Kleider kaufen. Gefalle ich Ihnen?«
»Natürlich, Sie sehen wie immer –«
Jennerwein zögerte.
»– blendend aus?«, vervollständigte Maria kühn.
»Ich habe nach einem besseren Ausdruck gesucht. Einem originelleren. Nach einem, der Ihnen angemessener ist.«
Maria lächelte. Ihre Zähne blitzten blendend weiß. Einige Türen öffneten sich, und es schwebten Czárdásgeiger herein, die mit prächtigen Kleidern angetan waren. Sie setzten die
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