Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
allerlei farblich hervorgehobene Skipisten, Schlepplifte, Rodelstrecken und Eisstockbahnen. Die Häuser und Gebäude waren mit kleinen, zuckerwürfelartigen Quadern nachgebildet, die Straßen hatte der begabte Kartograph durch pulvrigen, hellen Staub angedeutet. Die wichtigsten Verkehrswege waren besonders deutlich markiert, die breite Zugspitzstraße etwa, eine der Hauptschlagadern des Loisachtales, und die historische Mittenwalder Straße, durch die schon seit vielen hundert Jahren der Handelsverkehr rauschte. Momentan rauschte nichts. Nur grellweißer Schnee lag auf den Wegen.
»Ich für meinen Teil werde mal mit einer klitzekleinen Straße beginnen!«, sagte einer, der aussah wie Gunter Sachs, vielleicht war er es auch selbst. Er warf sein geföhntes Haar nach hinten. »Vielleicht mit der Ballengasse!«
Langanhaltendes, bewunderndes Gelächter in der bunten Gesellschaft, die sich hier versammelt hatte. Dem Geföhnten steckten zwei Flugtickets (Paris, einfach) locker und beiläufig in der Gesäßtasche. Er zitterte einen kleinen Strohhalm aus einem geflochtenen Kästchen heraus. Er hielt das Röhrchen an die Nase, bückte sich und begann, den glitzernden Staub, aus dem die Ballengasse bestand, aufzusaugen. Er setzte das breite Ende des Strohhalms etwa in Höhe des Hauses vom Kölblinger Ignaz an, dann schnupfte er sich zügig durch bis zum Anwesen Nr. 47, das mit der Wiese des Olfberger-Bauern abschloss. Kühe und Ziegen aus Zuckerguss und Lebkuchen standen darauf und glotzten verständnislos auf die illustren Gäste. Applaus, Hochrufe. Die Housewarming Party war eröffnet.
Eine semmelknödeläugige Spitzengastronomin aus der Umgebung nahm sich die Ludwigstraße im Osten des Kurortes vor. Sie war nicht gar so geschickt wie der weltgewandte Partylöwe, sie glitt mit dem Schnupfhalm öfters ab, rutschte am Bahnhofplatz ganz aus, kurvte dort quietschend herum wie ein orientierungsloser Taxifahrer, stach sich in die Nase, blutete, kicherte und lachte, fuhr wieder zurück, musste mehrmals nachfassen. Sie ließ viel Stoff auf dem Glastisch zurück. Eine Anfängerin eben. Die geladenen Gäste klatschten und johlten trotzdem.
»Eine perfekte Überraschung!«, raunte ein einheimischer Stararchitekt seinem Nachbarn, einem Schickeria-Zahnarzt, zu. »Haben Sie einen Strohhalm für mich übrig? Ich möchte es auch einmal versuchen.«
Der Zahnarzt reichte ihm einen. Prustend und spotzend durchschniefte der Architekt die Falkensteinstraße, die um den Friedhof herumführte. Bald hatten sich alle Partygäste, Sportler, Politiker, Baulöwen und Filmleute, in der würzigen Suppenschüssel festgesaugt, sie schnaubten und schnüffelten schweigend, ab und zu kam es zu einem vagen Ächzen und Kieksen, sonst gab es eine Zeitlang keine erkennbaren Gesprächsinhalte.
»Die Koks-Allergiker unter euch sollten sich an die schönen oberbayrischen Seen in den Naherholungsgebieten halten!«, rief ein Mannsbild mit Hut und zitterndem Gamsbart.
Und tatsächlich: Tiefblau blitzten einige Gewässer auf, der Schmölzersee, der Pflegersee und der Riessersee. Bei näherer Betrachtung waren das keine Farbtupfer, das waren echte, scharf riechende Flüssigkeiten. Frank Möbius selbst tauchte den Finger in den Eibsee und leckte daran. Er bekam einen Hustenanfall.
»Pfui Teufel!«, keuchte er. »Blue Curaçao!«
Schließlich wandten sich alle wieder dem Schnee zu.
Die stimulierende Reliefkarte des Kurorts war ein Werk des ortsansässigen Konditormeisters Heinz Wölfle, Chef des gleichnamigen Traditionsbetriebes. Man hatte ihm den Auftrag gegeben, dieses kleine Alpenpanorama zusammenzuzuckern, und weil der Auftrag dann doch einen Ticken delikater war als die sonstigen Hochzeits- und Geburtstagstorten, waren für ihn zusätzlich zur branchenüblichen Entlohnung noch ein paar Hunderter extra herausgesprungen. Mit dreißig bis vierzig Gästen wurde gerechnet droben auf der Alm. Der Geföhnte hatte nicht geknausert und über hundert Gramm Gaudipulver drüben im Italienischen eingekauft.
Die Grünanlagen, der Kurpark, die Felder waren mit bunten Bastelmatten angelegt, da und dort ragten sogar einige Bäumchen auf, wie man sie für elektrische Modelleisenbahnanlagen verwendet. Und tatsächlich, da fuhr sie schon ab, die kleine Bummelbahn, vom Bahnhof des Kurortes. Es war ein Gütertransport der besonderen Art, denn auf den Waggons bliesen Schneekanonen den belebenden Staub in alle Richtungen. Die Umstehenden fächelten sich das Zeug mit beiden
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