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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Maria.
    »Fahren Sie mit Stengele«, sagte Jennerwein bestimmt. »Er erklärt Ihnen alles.«
    Die drei eilten hinaus. Jennerwein war allein. Sein Puls war auf hundert. Er fühlte sich überhaupt nicht fit. Aber er riss sich zusammen. Er drückte auf die Sprechtaste.

    »Hallo, Ägidi?«
    »Ja, hier bin ich.«
    »Ägidi, weißt du: Ich bin ein Polizist, und mir gehört das Auto.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Das musst du mir aber glauben. Und ich suche zwei andere Polizisten, die in der Nähe sind. Hast du keine anderen Polizisten gesehen?«
    Keine Antwort. Nicole und Ostler da alleine rauszuschicken, war der Wahnsinn gewesen. Wenn ihnen etwas zustieß, musste er die Verantwortung übernehmen. Jennerwein legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Decke. Er konzentrierte sich auf einen kleinen Wasserfleck neben der Deckenleuchte. War der neu, oder war der schon immer dagewesen? Wenn er jetzt die Selbstbeherrschung verlor, wenn er sich nicht tierisch zusammennahm, dann bekam er einen Akinetopsie-Anfall. Das war das Letzte, was er momentan brauchen konnte.
    »Hallo, Hubertus!«, sagte Ägidius verschwörerisch. »Da oben hängt einer!«
    Jennerwein war hellwach.
    »Was? Da hängt einer? Wer hängt da?«
    »Da hängt ein Junge, der zappelt und winkt.«
    »Ist es ein Bergsteiger?«
    »Ich weiß nicht. Er hat einen Helm auf. Und jetzt schreit er auch noch! Er schreit was zu mir runter. Aber ich versteh nicht, was er schreit.«

    Jennerwein löste den Blick von der Decke, er blickte zu Boden. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, eine Woge von Übelkeit rollte durch seinen Körper. Er musste sich zusammenreißen. Er musste dafür sorgen, dass dieses Kind keinen Unsinn machte. Kommissar Jennerwein blickte auf seine Schuhspitzen, aber er hatte immer noch das Bild der Deckenlampe vor Augen. Er befand sich mitten in einem seiner seltenen, aber heftigen Anfälle von temporärer Akinetopsie.

    »Hallo, Hubertus!«
    »Hallo, Ägidi. Was ist mit dem Bergsteiger geschehen? Hängt er immer noch da?«
    »Ja. Er schreit und zappelt. Ich gehe jetzt heim.«
    »Nein, bleibe da, wo du bist.«
    »Ich muss aber heim. Bei uns gibt es jetzt Abendessen.«

    Ganze zwölf Menschen auf der ganzen Welt litten an dieser Krankheit, die meisten davon chronisch. Sie hatten keine temporären Anfälle wie er, sondern sie sahen die Welt, wenn sie die Augen aufmachten, in ruckelnden, immer wieder stehenbleibenden Bildern. Die Menschen mit Bewegungsblindheit sahen den Lauf der Dinge nicht als Film, sondern sie blätterten in einem Fotoalbum, während die Geräusche und Töne der Welt um sie herum weiterliefen. Jennerwein hatte diese Anfälle eher sporadisch, immer in großen Stresssituationen. Dann war es so, wie wenn er in einem Buch las, und plötzlich stockte die Handlung. Sie blieb stehen, sie gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror gefror – bis sie wieder in normale Bahnen geriet.

    »Da kommt noch ein Polizeiauto«, sagte Ägidius. »Sitzt du da drin?«
    »Nein, Ägidi! Ich sitze nicht da drin. Drei andere Polizisten sitzen da drin. Hab keine Angst vor ihnen. Es sind ganz liebe Polizisten. Warte, bis sie ausgestiegen sind –«
    War das jetzt psychologisch klug gewesen, den Begriff Angst überhaupt zu nennen? Jennerwein stand auf und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er hatte die Augen geöffnet, aber wo er auch hinsah, stets hatte er das Bild der Deckenlampe vor Augen.

    »Weißt du, Hubertus, wenn ich nicht rechtzeitig zum Abendessen komme, dann gibts Ärger!«
    »Dann schimpfen der Papa und die Mama, oder?«
    »Ja, die schimpfen.«
    »Wie heißen denn dein Papa und deine Mama?«
    »Die heißen eben Papa und Mama.«

    »Da unten steht der Wagen«, schrie Hölleisen. »Los, fahren wir hin!«
    Er bretterte eine steile Wiese hinunter. Alle drei sprangen heraus, liefen zum anderen Auto, rissen die Türen auf und sahen hinein. Das Polizeiauto war leer, vollkommen leer.
    »Das gibts doch gar nicht!«, sagte Maria.
    »Hey ihr Cops, holt mich endlich hier runter!«, schrie Kevin von oben.
    Alle richteten ihre Blicke in die Höhe. Dort war nur ein gelber Fleck von Windjacke zu sehen. Der gelbe Fleck zitterte und zuckte im Wind.
    »Das ist der junge Mann, der uns angerufen hat«, sagte Hölleisen. »Ich helfe ihm mal herunter.«
    Im Nu war Hölleisen an der präparierten Kletterwand, in wenigen

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