Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
angekokeltem Sandelholz. An die Wand wird er als Erstes ein paar merkwürdige Bilder aus dem Kamasutra pinnen, dazwischen prächtige Farbdrucke aus der indischen Mythologie – nie fehlt zum Beispiel die Abbildung des bösen, zwanzigarmigen Dämons Rakshasa, des großen Beschädigers. Tische und Schränke quellen über von handgeschlagenen Kupferschalen, in denen Räucherstäbchen stecken. Innerhalb einer Stunde ist das Zimmer vollständig verindelt. Es brennen orangefarbene Nārangī-Meditationskerzen, und auf dem Tisch liegt eine leicht gekürzte Ausgabe der Upanishaden. Sind das alles Klischees, sind das alles kolonialistische Vorstellungen? Ja, das sind Klischees.
In Wirklichkeit war der Raum karg und schmucklos eingerichtet. Pratap Prakash, Dilip Advani und Raj Narajan saßen im Zimmer 23 der Pension Üblhör, im zweiten Stock, mit bester Aussicht auf die Berge.
»Der Chef hat gerade gesimst«, sagte Pratap Prakash. »Morgen ist Freitag, und da wäre eine gute Gelegenheit, unseren Auftrag in Köln zu verrichten.«
»Wohlauf, dann frisch ans Werk«, sagte Dilip Advani.
Der Tunesier, der sich Chokri Gammoudi nannte, hielt seinen Nachmittagsschlaf, er lag auf dem spartanischen Klappbett, das hinter dem Vorhang stand. Davon wusste die Wirtin natürlich nichts. Es klopfte, aber es war ein anderes Klopfen, als man es in der Nacht vernommen hatte. Es hörte sich wesentlich harmloser an. Pratap Prakash öffnete.
»Ich möchte nicht stören«, sagte Rosalinde Üblhör.
»Sie stören nicht, verehrteste Wirtin«, sagte Dilip Advani. »Sie bringen herrlichen Glanz in unsere Bleibe.«
»Ich habe ganz vergessen, Ihnen die Anmeldebögen zu geben«, sagte sie.
Die Inder blickten sich kurz und beunruhigt an.
»Natürlich, unsere Anmeldungen, die haben wir ganz vergessen. Unsere Namen genügen doch wohl?«
»Nein, meine Herren, ich bräuchte schon Ihre Ausweise. Neue Vorschrift: Die Ausweisnummern sind einzutragen. So leid es mir tut, das ist jetzt Pflicht. Es ist jahrelang ohne gegangen, und dann auf einmal so ein Trara! Aber da kann man nichts machen. Das ist halt die EU-Bürokratie. Mich kleines Würstel zwingen sie dazu. Wohingegen da droben, die feinen Herrschaften, die brauchen keine Anmeldung. Da kümmert sich kein Schwein drum. Da hält der Bürgermeister seine schützende Hand drüber.«
»Welche Herrschaften wohingegen da droben meinen Sie, verehrte Hausbesorgerin?«, fragte Pratap Prakash möglichst unverfänglich und harmlos.
»Ja, haben Sie denn nichts gehört? Lesen Sie keine Zeitung? Schauen Sie nicht ins Internet? Die Gaudi, die auf der Wolzmüller-Alm passiert ist!«
»Gaudi?«
»Ein Mord! Ein richtig fetter Mord. Mit einer richtigen Leich. Alle Gäste sind abgehauen, und von keinem hat man die Adresse gehabt. Sie können sich vorstellen, dass es da natürlich schwer ist, den Mörder zu fangen. Ohne Adresse. Na, zumindest hat man Bilder von allen, sogenannte Phantombilder. Warten Sie, meine Herren, ich zeige sie Ihnen.«
Die Wirtin eilte und brachte die Computerausdrucke der Phantomzeichnungen. Pratap Prakash, Dilip Advani und Raj Narajan konnten auf diese Weise sehen, wer sonst noch zu dem Fortbildungsseminar eingeladen worden war. Der anonyme Veranstalter hatte ihnen lediglich den Treffpunkt genannt sowie die Themen der Referate, die gehalten werden sollten. Die Seminarteilnehmer selbst lernte man immer erst vor Ort kennen. Die Inder betrachteten die Bilder schweigend. Sie kannten alle. Es gab nicht so viele professionelle Auftragskiller auf der Welt. Wenigstens nicht in ihrer Kategorie. Sie gehörten der Weltspitze an, sie waren das Beste vom Besten, und davon gab es vielleicht fünfzig oder sechzig. Sie waren berühmt dafür, blitzartig aufzutauchen, um dann genauso schnell und spurlos wieder zu verschwinden. Die Ausbildung war hart und entbehrungsreich. Es war schwer, und es wurde immer schwerer, Nachwuchs für diesen uralten Handwerksberuf zu finden. Früher gab es weitverzweigte Familien, die ihre Kenntnisse von Generation zu Generation weitergaben. Italien war dafür bekannt, aber auch China und vor allem Indien. Aber heute? Kaum jemand war zu dem Risiko bereit. Kaum jemand war für diese hingebungsvolle Art der Arbeit noch zu gewinnen.
»Und Sie meinen, einer von denen ist der Mörder?«, fragte Pratap Prakash. Er legte ein angstvolles Tremolo in seine Stimme, ließ auch die Finger leicht zitternd über die Bilder wandern. »Die sehen doch alle harmlos aus.«
»Das ist wahrscheinlich
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