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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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auf Ooti zu warten.
    Obwohl die Straßenbahn mich am Altonaer Bahnhof absetzte, zögerte ich einen Augenblick, ihn durch den Ausgang zu verlassen, der zum Schwarzmarkt führt e – weil ich dort nichts mehr zu schaffen hatte, aber auch weil meine Arme und Beine seit der Rückkehr aus Lüneburg vor zwei Tagen wieder angefangen hatten, sich nach der allerkürzesten Anstrengung wie Pudding anzufühlen. Ich kannte das Gefühl vom Ende des letzten Winters und wehrte mich verzweifelt dagegen, dass es bereits jetzt, im November, wieder losgehen sollte. Nur deshalb raffte ich alle Energie zusammen und krückte zur Bahnhofstraße hinüber.
    Ich war nicht einmal sicher, Wim überhaupt anzutreffen, da sein Betätigungsfeld sich längst auf den Hauptschwarzmarkt in St . Pauli erstreckte, aber er war nicht nur da, sondern freute sich riesig, mich zu sehen.
    »Mensch, Alice, ich hatte dich schon fast aufgegeben!«
    »Du kannst mich ja anstellen, dann hätte ich wieder etwas zu tun«, erwiderte ich.
    »Anstellen?«
    »Ich bin pleite. Da hast du’s«, sagte ich schulterzuckend, während ich mich umschaute. Im Sommer hatte der Schwarzmarkt, allen Risiken zum Trotz, eine fast spielerische Atmosphäre gehabt; jetzt duckten sich bleiche, bedrückte Gestalten, die ihr letztes Hab und Gut unterm Mantel feilboten, an den feisten, professionellen Schiebern vorbei, die sie kaum beachteten. Einige stolzierten in Pelzen umher wie die Hautevolee auf einer Rennbahn, eine dicke Zigarre im Mundwinkel.
    »Henry hat von meinem Geld die Pistole bezahlt«, wandte ich mich wieder an Wim.
    »Was? Dein Bruder hat dich bestohlen?« Wim war perplex, doch seine Verblüffung hielt nicht lange an. Sofort schlug er vor, die Pistole wieder zu verkaufen; er könne mit Sicherheit denselben Preis heraushandeln, den er Henry abgenommen habe.
    »Das wird nicht gehen. Die Pistole ist nicht mehr da.«
    »Wi e … die Pistole ist nicht mehr da?«, fragte er stirnrunzelnd.
    »Der Mann, den Henry erschießen wollte, hat sie ihm abgenommen.«
    Ich hatte nicht erwartet, dass Wim, der schon eine Menge erlebt hatte, zu so einem verstörten Gesichtsausdruck imstande war. »Du willst mich auf den Arm nehmen«, sagte er schwach. »Henry wollte jemanden erschießen?«
    »Hast du nicht zugehört? Davon hab ich doch wochenlang geredet!«
    »Ich dachte doch nich t …« Er brach ab und in diesem Augenblick erkannte ich, warum Wim sich nichts dabei gedacht hatte, eine Pistole zu organisieren: Er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, eine zu benutzen.
    »Wie läuft es sonst?«, fragte ich. »Du hast nicht viel dabei, wie ich sehe?«
    Wim, immer noch mit Henry beschäftigt, sagte, ohne nachzudenken: »Ich kaufe nichts mehr, ich stoße ab.«
    Als ich ihn fragend ansah, wurde er sofort vorsichtig.
    »Größere Mengen«, sagte er zurückhaltend. »Auf Bestellung.«
    In meinem Kopf machte es Klick. »Ihr geht weg?«, flüsterte ich.
    Wim senkte verlegen den Kopf und kratzte mit seinen blank geputzten neuen Schuhen auf dem Boden.
    »Nach der Hochzeit?«
    Er nickte leicht. Dann hob er wieder den Kopf. »Ich lasse dir ein paar Kartons d a … hätte ich sowieso. Es tut mir leid wegen der Pistole, das wollte ich nicht.«
    »Und ich will deine blöden Kartons nicht. Ich will, dass ihr hierbleibt!«, fuhr ich ihn an und hatte plötzlich Tränen in den Augen, obwohl dies das Letzte war, was ich beabsichtigt hatte.
    Das Komische war, dass es Wim genauso ging. Er zog die Nase hoch, scharrte weiter auf dem Boden herum, dann gab er zu: »Eigentlich wollte ich auch schon fast nicht meh r …«
    »Südamerika?«, flüsterte ich, worauf Wim einen kleinen inneren Kampf auszufechten schien, bevor er kapitulierte und gestand: »Erst mal Richtung Italien.«
    »Alice, jetzt bleib doch hier!«, rief er mir nach, aber ich schaute mich nicht einmal mehr um. Was ging es ihn an, dass ich die Tränen nicht länger zurückhalten konnte?
    »Alice? Alice!«, rief noch jemand, aber das Letzte, was ich jetzt noch ertragen hätte, waren weitere Hiobsbotschaften über Helgoland.
    »Ich wäre dir dankbar, wenn du niemandem davon erzählst«, bat mich Wim an diesem Abend. Er passte mich ab, als ich vom Klo kam und gerade zurück zu den anderen in die Küche wollte.
    »Warum? Wollt ihr heimlich abhauen?«, fragte ich.
    »Natürlich nicht«, antwortete Wim so gelassen, als hätte er genau diese Frage erwartet. »Es ist nur so, dass man auf legalem Wege gar nicht darf. Die Leute, die das organisieren, wollen nicht, dass

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