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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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darüber geredet wird.«
    »Also doch abhauen«, stellte ich fest. »Am Morgen nach der Hochzeit wachen wir auf und ihr seid weg. Habt euch nicht mal verabschiedet!«
    »Von dir werde ich mich verabschieden«, versprach Wim. »Die anderen sind mir egal.«
    Seine Antwort drückte mir den Hals zu. »Nora will doch gar nicht weg«, brachte ich heraus.
    »Sie sieht es jetzt ein«, sagte Wim ruhig.
    Er wird nicht gewusst haben, was Worte anrichten können. Worte sind wie Farben, die sich über die Dinge legen, nichts bleibt dasselbe unter einem anderen Wort. An diesem Abend begriff ich endlich, dass Nora weder in Herrn Helmand verliebt war noch sich auf die Hochzeit mit ihm freute, und dass ich nur gesehen hatte, was ich hatte sehen wollen.
    War es Wims Idee gewese n – seine und »Richards«? Er hatte Herrn Helmand wiedergetroffen, während Nora im Gefängnis gewesen war, und kaum war sie draußen, hatte dieser auch schon begonnen, bei uns ein und aus zu gehen. Es war viel zu schnell gegangen, als dass es Noras Idee gewesen sein konnte.
    Steif wie ein Stock saß sie auch an diesem Abend neben ihrem zukünftigen Ehemann auf der Küchenbank, während er den Arm um sie legte und sein Knie gegen ihres drückte. Plötzlich fiel mir wieder ein, wie glücklich Wim ausgesehen hatte, als ich ihn und Herrn Helmand vor dem Bunker beobachtet hatte. Die beiden mussten sich von Anfang an einig gewesen sein, und Nora sah es jetzt ein , das war alles.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, hob sie auf einmal den Kopf und blickte mich ernst an und ich platzte, nur um irgendetwas zu sagen, heraus: »Du musst mir einen Tanz ohne Drehungen zeigen, sonst wird das nichts.«
    Sie musste lächeln. »Komm doch am späten Nachmittag zu uns nach oben. Dann gibt es Tanzmusik im Radio.«
    »Wie wär’s mit morgen?«, schlug Wim vor. »Ich sollte schließlich auch mit dabei sein, und so viel Zeit haben wir nicht mehr.«
    In der klirrenden nächtlichen Kälte stand niemand von uns auf, als Captain Sullavans Auto vor dem Gartentor hiel t – niemand außer Herrn Helmand, wenn es stimmte, was Mem behauptet hatte. Ich fühlte ein Kitzeln im Magen, während ich mir vorstellte, wie er womöglich just in diesem Augenblick meine Mutter beobachtete, und war erleichtert, als ich die Wagentür zuschlagen und ihre schnellen Schritte aufs Haus zueilen hörte. Aber obwohl die Haustür auf- und zuklappte, wartete ich vergebens darauf, dass Mem ins Zimmer kam.
    Unwillkürlich tastete ich mit den Zehen nach dem Ziegelstein, den wir im Ofen erhitzt und mit ins Bett genommen hatten; ich hoffte, dass Mem ein Einsehen hatte und mich bald erlöste. »Früh schlafen gehen, gut kauen, nicht aufregen«, empfahlen Ernährungswissenschaftler gegen den Verlust von Energie, meine Mutter hatte uns selbst davon erzählt.
    Aber nach einer Weile hielt ich es nicht mehr aus und stand auf. Ooti und Henry mussten mich hören, als ich aus dem Bett kroch, doch sie taten keinen Mucks. Vielleicht waren sie der Ansicht, es reichte, wenn einer von uns nicht schlief, fror und sich aufregte!
    Mem saß im Dunkeln in der Küche, ein Rest von Ofenwärme hing noch im Raum. Ich blieb in der Tür und spähte zu ihren Umrissen hinüber.
    »Komm doch mal zu mir, Alice«, sagte sie und mein Herz sank. Nicht, dass ich nicht die ganze Zeit gewusst hatte, dass dieser Augenblick kommen würde.
    »Wenn es mit Helgoland nichts mehr wird«, sagte sie stockend, »könntest du dir vorstellen, auf einer anderen Insel zu leben?«
    »Nein, überhaupt nicht«, antwortete ich sofort. »Auf keinen Fall eine andere Insel.«
    Wir saßen im Dunkeln und ich fühlte Kälte mein Bein hinaufkriechen.
    »Colin fährt für eine Woche nach Hause, um mit seinen Eltern zu reden«, sagte Mem leise, und ohne mir Zeit zu geben, selbst etwas zu fühlen, begann sie plötzlich zu weinen. »Es war doch nicht geplant, mein Schatz. Es ist einfach passiert, das musst du mir glauben!«
    Ich rutschte auf der Bank zu ihr hinüber, aber sie kam mir schon entgegen, wir trafen uns in der Mitte und ich konnte nicht mehr sagen, welches ihre Schluchzer waren und welches meine. »Es wird dir schon gefallen«, weinte Mem. »So eine wunderschöne Insel«, als ob sie sich nur deshalb in Captain Sullavan verliebt hatte. »Es tut mir leid«, fügte sie hinzu, denn mehr blieb ja nicht zu sagen; ich wusste, dass sie uns das nicht mit Absicht antat.
    Nach einer Weile beruhigte sie sich und fing an, von Guernsey zu erzählen, das grüner, hügeliger und

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