Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
Vom Netzwerk:
wenn sie ihn mir schließe n …«
    »So weit wird es nicht kommen!«, versicherte Wim. »Sie können ja wirklich nichts dafür.«
    Die Frau sah ihn so dankbar an, dass ich beinahe erwartete, sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen zu sehen. Bevor es dazu kam, betrat ein älterer Polizist den Laden, gefolgt von der Frau, die ihn gerufen hatte.
    »Wer ist der Geschädigte?«, wollte er sofort wissen.
    »Die Kleine hier!« Man schob mich vor, während die Frauen den Polizisten bestürmten, mit den Plünderern kurzen Prozess zu machen; lautstark bedauerten sie, dass auf dieses schändliche Vergehen nicht mehr die Todesstrafe stand wie unter unserem Führer.
    »Das hab ich jetzt aber nicht gehört«, meinte der Polizist, der einen gutmütigen Eindruck machte und mir als Erstes erklärte, ich brauche keine Angst zu haben und könne die Schüssel wieder abstellen (was ich aber nicht wollte). Er ließ sich das Kassenbuch zeigen und notierte den Namen desjenigen, der unsere Sachen zum Verkauf angeboten hatte, dann wollte er wissen, aus welcher Wohnung die Sachen wann gestohlen worden waren.
    »Sie wurden aus unserem Haus auf Helgoland gestohlen«, antwortete ich. »Wann genau, weiß ich nicht. Als wir evakuiert wurden, mussten wir sie zurücklassen.«
    Es war, als springe man eine Treppe hinab, als landete man von einer Sekunde auf die nächste in einem völlig anderen Film.
    Der Polizist klappte sein Notizbuch wieder zu.
    Die Frauen blickten sich an und verzogen enttäuscht das Gesicht.
    Die Ladenbesitzerin lachte erleichtert auf und nahm mir die Schüssel so schnell aus der Hand, dass ich viel zu überrumpelt war, sie festzuhalten.
    Nur Alice Sievers begriff wieder einmal überhaupt nichts.
    »Bitte zerstreuen Sie sich, meine Herrschaften«, sagte der Polizist. »Es gibt nichts zu sehen!«
    »Es ist und bleibt Plünderung«, beharrte die energischste der Frauen.
    »Theoretisch ja«, meinte der Polizist. »Aber keine Straftat, wenn es auf Helgoland passiert ist. Tut mir leid«, sagte er zu mir, »da kann man nichts machen.«
    »Aber wieso denn nicht?«, rief Wim, während es mir die Sprache verschlug. Die Ladenbesitzerin kniff die Lippen zusammen und brachte meine Schüssel mit großer Geste wieder an ihren Platz.
    »Helgolands Status ist aufgehoben worden«, belehrte uns der Polizist. »Es ist nicht mehr Teil Deutschlands. Betreten verboten. Vogelfrei. Ganz wie ihr wollt. Komm schon, davon müsst ihr doch auch gehört haben.« Der Polizist sah mich mitfühlend an, dann senkte er die Stimme. »Die Engländer wollen die Insel sprengen. Es schreit zum Himmel. Glaubt mir, ich würde euch gern helfen, ich war mit meinen Kindern früher selbst mit dem Seebäderschiff dort, um die Robben und Lummen zu beobachten. Aber es ist zwecklos.«
    »Sprenge n …?«, flüsterte ich. »Aber warum?«, fragte Wim.
    »Keine Ahnung. Ich weiß nur eins: Besitz gibt es dort nicht mehr, also liegt auch kein Diebstahl vor.«
    »Sie sagten aber doch, das Betreten der Insel sei verboten.«
    »Offiziell schon. Aber wenn ein paar Fischer es riskieren und sich Sachen aus den Trümmern holen, die für ihre Besitzer ohnehin verloren sin d … wer sollte sie daran hindern?«
    Die Ladenbesitzerin, die zu uns zurückgekommen war, fiel ihm unfreundlich ins Wort: »Ich würde vorschlagen, ihr zwei verschwindet jetzt, und zwar schnell.«
    »Aber meine Sache n …?«
    »Die bleiben selbstverständlich hier. Von deinen Sachen kann keine Rede mehr sein, hast du’s nicht kapiert?«
    Von Tock-tock kann auch keine Rede sein, dachte ich, während wir schweigend die Straße hinuntergingen. Es gibt nur ein einziges Tock , wenn man die Krücken gleichzeitig aufsetzt. Kann sein, dass es mal ein Tock-tock war, als ich es noch nicht so gut konnte, aber jetzt kriege ich es hin. Nur ein Tock . Nur eins!
    Als ich endlich zu Wim hinüberschielte, sah ich, dass er mich beobachtete, als wartete er darauf, dass ich entweder etwas sagte oder anfing zu heulen. Mit Mühe schluckte ich zwei-, dreimal, um mich von dem Kloß in meinem Hals zu befreien.
    Dann sagte ich laut: »Scheiß-Krieg und Scheiß-Frieden«, was wohl das Richtige war, denn erst er, dann ich konnten wieder lachen.
    Die Aufforderung, nach Cuxhaven zu kommen, »um auf Helgoland geborgenen Privatbesitz zu beanspruchen«, hatte uns James Krüss im Herbst überbracht. Er war der neunzehnjährige Sohn von Ootis Nichte und am Vormittag auf dem britischen Generalgouvernement in Pinneberg gewesen, da er sich um die

Weitere Kostenlose Bücher