Unterland
gewesen wie ein Messerstich zwischen meine Rippen.
Gar nichts hast du kapiert.
Die Worte hingen zwischen uns wie eine kleine Giftwolke. Nach ein paar Sekunden hielt ich es nicht mehr aus. »Ich kenne auch einen Mutmachspruch: Es sind schon Schiffbrüchige gerettet worden, die sich an einen Strohhalm klammerten. «
Wim kicherte. Alles war wieder in Ordnung. Ich dachte: Danke, Dr . Kropatscheck!
Es gibt Tage, an denen kann man sich selbst bei den rätselhaftesten Handlungen beobachten. Nicht genug damit, dass ich mit einem Bügelbrett und einem Jungen, den ich gestern um diese Zeit nicht einmal gekannt hatte, auf dem Schwarzmarkt stand, nein, ich sah mir plötzlich dabei zu, wie ich meine Krücken auf die Seite stellte, auf der Wim nicht stand, sie quasi aus dem Wege räumte, und dachte: Jetzt könnte er das mit dem Arm noch mal versuche n …!
Was in aller Welt war in mich gefahren?
Im nächsten Augenblick bogen zwei offene Lastwagen um die Ecke.
Es war meine erste Razzia, deshalb verstand ich nicht gleich, warum die Wagen leer waren. Ich hätte erwartet, dass Dutzende Polizisten mit Hunden absprangen, schreiende Händler umzingelten, blitzschnell den Platz abriegelten, aber in Wirklichkeit war es noch gemeiner: Sie gaben sich als Kunden aus und hatten sich bereits unter die Leute gemischt! Die Lastwagen bogen um die Ecke, ein Mann in unserer Nähe breitete die Arme au s – »Polizei! Stehen bleiben! « – und von weiter vorn auf der Straße drängten bereits flüchtende Menschen erschrocken auf uns zu. Es gab ein Getrappel von Schuhen, ein Schimpfen und Zetern, und ich verstand: Die Ladeflächen der Lkw waren für die Gefangenen gedacht. Für uns!
Aus der notdürftig instand gesetzten Ruine, die vom Bahnhofsgebäude übrig war, kamen weitere Polizisten in Uniform, wir wurden hin und hergeschubst, ich hielt krampfhaft meine Krücken fes t … und kam nicht einmal dazu, »He!« zu rufen, als mir plötzlich jemand einen Beutel um den Hals hängte! Nur einen Lodenmantel sah ich, ein Wehen von Rockschößen, und der Mann war in der Menge verschwunden.
Im Gegensatz zu mir verstand Wim sofort. Wortlos zog er mich zur Hauswand, an den letzten Händlern vorbei, die ihre Waren stehen und liegen ließen und die Flucht ergriffen. In Sekundenschnelle knöpfte er meinen Mantel auf und drehte den Beutel so geschickt hinein, dass von außen nichts mehr zu sehen war. Das Bügelbrett hatte er fallen lassen; ich sah Leute darübertrampeln und dachte: ein Päckchen Glühbirne n …!
Als ein Polizist geradewegs auf uns zukam, ordnete Wim so umsichtig meine Krücken, als hätte er Sorge, ich könne zu Fall kommen. »Wir hatten nur das Bügelbrett, Herr Wachtmeister«, kam er dem Polizisten mit der hohen, weinerlichen Stimme eines Achtjährigen zuvor. »Und das wollte einfach niemand haben!«, klagte er.
Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich in den Augen des Polizisten Lachen aufblitzen, dann guckte er wieder streng und gab uns den unmissverständlichen Wink, zu verschwinden. Mit uns durften noch weitere Kinder gehen, nur den Jungen, der uns die Glühbirnen besorgt hatte, hielten sie fest. »Das zweite Mal, Bürschchen, jetzt bist du dran!«
»Lassen Sie mich doch gehen! Meine Mutter ist lungenkrank!«, flehte er.
»Ein Grund mehr, dich der Fürsorge zu übergeben«, sagte der Polizist ungerührt, packte den heulenden Jungen am Nacken und führte ihn zum Lastwagen.
Die Tommys blieben unbehelligt, sie tippten spöttisch an den Rand ihrer Mützen und spazierten geradewegs durch die Absperrung, die einige Polizisten mit ihren Körpern errichtet hatten. Wim hob sein Bügelbrett auf; es war verschmutzt, aber unversehrt.
Ungeschickt drückte ich meine rechte Krücke an mich, damit der Beutel nicht auffiel. Er war weder leicht noch schwer, weder hart noch weich; er war nicht ganz flach, trug aber auch nicht sehr auf. Was mochte darin sein? Es war ein äußerst unerfreuliches Gefühl, mit einem fremden Beutel unter dem Mantel herumzulaufen. Vor lauter Anspannung brachte ich kaum einen Fuß vor den anderen.
»Hier warten wir«, bestimmte Wim an der Ecke.
»Worauf?«, brachte ich hervor.
»Na, auf den Besitzer. Jede Wette, dass er uns beobachte t – oder beobachten lässt.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte schon befürchtet, den Beutel mitsamt seinem unbekannten Inhalt mitgehen lassen zu müssen! Von dem Hauseingang, in den Wim mich geschoben hatte, sahen wir die Lastwagen abfahre n – beladen mit unglücklichen
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