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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Schwarzhändlern, auf die ein Schnellverfahren wartete. War der Lodenmantelmann dabei? Da die Lastwagen in die Gegenrichtung fuhren, konnten wir es nicht erkennen.
    »Was nun? Sehen wir nach, was drin ist?«
    »Auf keinen Fall, das gibt nur Ärger. Lass uns einfach warten.«
    Ich hielt den Mund. Kannte Wim sich aus? Die Sache mit dem Bügelbrett hätte ihm nicht passieren dürfen, aber es schien mir nicht ausgeschlossen, dass er mit dem Beutel Recht hatte. Nach den geheimnisvollen Regeln des Schwarzmarkts war mir dieser offenbar anvertraut worde n – einem Kind, das keine Gefahr lief, verhaftet zu werden ! –, also war ich höchstpersönlich dafür verantwortlich, dass der Eigentümer ihn zurückbekam. Meiner inneren Stimme zu folgen, mich des Beutels zu entledigen und Fersengeld zu geben, war nicht drin.
    Während wir warteten, begannen mir die wildesten Ideen durch den Kopf zu schießen. Ich sah unbekannte Gestalten drohend im nächtlichen Vorgarten stehen, tote schwarze Vögel hinterlassend. Ich sah mich vor Schatten flüchten, Menschenmengen meiden, ich sah mich nie wieder die Kindler’sche Gartenpforte überschreiten. Hätte ich mich doch nur aus dem Staub gemacht, als Wim vom Organisieren anfing!
    War Geld in dem Beutel? Gefälschte Lebensmittelkarten etwa? Wie ein Mühlstein hing das Ding um meinen Hals, wog von Sekunde zu Sekunde schwerer und zog mich hinab in einen Strudel dunkelster Vorahnungen.
    Ein Pfiff schrillte über die verlassene Straße, er schoss durch meinen Körper und hinterließ entlang des Rippenbogens eine kalte Spur. »Na also!«, murmelte Wim erleichtert.
    Wir traten aus dem Hauseingang. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein rothaariger Junge und gab uns ein Zeichen. Zögernd überquerten wir die Straße. Im Hinterhof, in dem der Junge uns erwartete, stand an die Brandmauer einer Ruine geduckt eine aus Trümmersteinen gemauerte niedrige Baracke. Dort lehnte er, die Hände lässig in den Hosentaschen, und stieß sich von der Wand ab, als wir auf ihn zutraten.
    »Na dann mal raus damit«, kommandierte er.
    Mit steifen Fingern nestelte ich an meinem Mantel; der Griff des Beutels schien sich geradewegs um die Knopflöcher gewickelt zu haben. »Und unser Einsatz?«, fragte Wim kühn. »Wir haben unsere Ware kaputt treten lassen müssen, um eure zu retten!«
    Der Junge grinste. »Stimmt, du bist der Clown mit dem Bügelbrett!«
    »Das Brett war bestellt!«, behauptete Wim rasch. »Im Übri-ge n … warte mal, Alice! Woher wissen wir eigentlich, dass wir dir den Beutel aushändigen dürfen? Wir haben ihn von jemand anderem zugesteckt bekommen, einem Mann im grünen Mantel.«
    »Das ist mein Boss.«
    »Mag sein, mag aber auch nicht sein. Wir wollen keinen Ärger, verstehst du. Wir können dir den Beutel nicht geben.«
    Der Junge blickte Wim kühl an. »Wartet«, sagte er, ließ uns stehen und verschwand in der gemauerten Baracke.
    »Sag mal, spinnst du?«, flüsterte ich. »Lass uns das Ding loswerden und dann weg hier!«
    »Irgendetwas muss dabei herausspringen«, beharrte Wim, dessen Lippen weiß geworden waren. Ganz so gelassen, wie er tat, war er also offenbar nicht.
    Irgendwo im Haus knallte ein Fenster, das Geräusch klang wie ein Pistolenschuss und wir sprangen fast in die Luft vor Schreck. Noch nie war mir aufgefallen, wie unheimlich ein stiller Hinterhof am helllichten Tag sein konnte. Ein paar Lumpen hingen an einer Wäscheleine, die vom Fenster des dritten Stocks zur Ruine hinübergespannt war; aus dem Stockwerk darüber, in das verkohlte Dachbalken gestürzt waren, rieselte Tauwasser. Noch stiller und unheimlicher als der Hinterhof war eigentlich nur noch eins: die ohne jedes Lebenszeichen vor uns liegende Baracke, die wir furchtsam und mit schwindender Hoffnung anstarrten wie das Kaninchen die Schlange.
    »Soso«, sagte plötzlich eine Stimme hinter uns.
    Wir fuhren herum. Der Mann stand im Schatten des Vorderhauses, obwohl der Junge, der ihn geholt hatte, vor nicht einmal fünf Minuten vor unseren Augen in der Baracke verschwunden war! Wir hatten keine Zeit, uns darüber Gedanken zu machen. »Soso«, wiederholte der Mann. »Ihr wollt den Beutel nur seinem Besitzer zurückgeben.«
    Er trat aus dem Schatten, in seinem Rücken der Junge. Erst jetzt sah ich sein Gesicht. Es war grau und müde, spärliches weißes Haar spross auf seinem Kopf wie abgeblühter Löwenzahn. Die Augen waren so tief in die Höhlen gesunken, dass sie wie schwarze Löcher aussahen.
    Schnell wie

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