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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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ermahnte ich meinen Kompagnon.
    Das Mehl nahmen wir mit, um es zu Hause in kleinen Portionen abzuwiegen, wofür wir eine angebrochene Rolle Pergamentpapier erstanden. Allmählich dämmerte mir, dass Frau Kindler mit den dreißig Zigaretten von der Raucherkarte, die Mem und Ooti jeden Monat an sie abtraten, ein verdammt gutes Geschäft machte. Als Nichtraucher hatten wir gar nicht gewusst, dass der Wert unserer Zigaretten auf dem Schwarzmarkt viel höher war, als es der Miete für ein kleines Zimmer mit Küchenbenutzung entsprach! Ganz abgesehen davon, dass Bolles und Wranitzkys gar nichts zahlten, da sie Einquartierung waren und nicht Gäste wie wir.
    Ob dies für Mem eine gute Nachricht darstellte, wusste ich allerdings nicht. Sie konnte sich bestimmt Schöneres vorstellen, als unsere Unterkunft noch einmal neu zu verhandeln.
    Manchmal beschleicht mich, was man ein untrügliches Gefühl nennt. Es geht fast immer mit einem kleinen Unbehagen, ja, beinahe Traurigkeit daher, denn untrügliche Gefühle richten sich in die Zukunft und insgeheim gehöre ich zu denen, die darauf verzichten könnten, mehr als das unbedingt Notwendige zu wissen. Auf diese Weise bleibt einem wenigstens die Hoffnung, durch eigenes Tun noch etwas wenden zu können.
    Mein untrügliches Gefühl an diesem Abend war, dass Mem und Nora Wollank niemals Freundinnen werden würden, und dass dies, meiner ungebrochenen Bewunderung Frau Wollanks zum Trotz, nicht an meiner Mutter lag. Mit ihrer schönen Fürstinnenstimme zu sagen: »Ich hatte keinen Augenblick Angst, Frau Sievers, denn ich vertraue meinem Sohn«, war vonseiten unserer neuen Hausgenossin ungefähr so liebenswürdig, wie auf einen ausgebuddelten Fehdehandschuh auch noch zu spucken, bevor man ihn jemand vor die Füße wirft.
    Ich wusste durchaus zu schätzen, dass sie mir damit zu Hilfe kam, denn Mem hörte tatsächlich vorübergehend auf, mich zu bearbeite n – aber irgendetwas in mir begann zu wünschen, »Lou« hätte andere Worte gewählt.
    »Gerade weil ich meinen Kindern vertraue, habe ich mir Sorgen gemacht, Frau Wollank!«, erwiderte Mem eisig.
    »Der Radius ist hier ein wenig größer als auf Ihrem Inselchen, das muss beunruhigend sein«, gestand die Fürstin ihr zu. »Aber Kinder brauchen Freiheit, Frau Sievers. Sie zu umklammern, nützt niemandem.«
    »Nirgends haben Kinder mehr Freiheit als auf Helgoland, Frau Wollank!«, ärgerte sich Mem und holte Luft für weitere Sätze mit Ausrufungszeichen, aber der arme Leo hielt es endlich für geboten, einzugreifen.
    »Meine Damen! Sie haben doch beide Recht. Warum freuen wir uns nicht einfach, dass die zwei wieder da sin d – und nicht mit leeren Händen, wenn ich mal darauf hinweisen darf.«
    Mem warf mir einen Blick zu, der nichts anderes bedeutete als: Wir sprechen uns noch. Für Ooti, die seit unserem Eintreten argwöhnisch schnüffelte, war der Moment gekommen, streng zu fragen: »Habt ihr etwa geraucht?«
    »Nur zwei Amis, aber Alice hat es nicht geschmeckt«, bekannte Wim.
    »Und woher«, fragten Mem und Ooti im Chor, »habt ihr das? «
    Sie sprachen von dem Mehl und der kleinen Dose Schmalz, die wir mitgebracht hatten. Bei der Vorstellung, an diesem Abend unsere Schnitte Brot mit etwas bestreichen zu können, begann ich vor Appetit regelrecht zu schäumen.
    Frau Wollank lehnte mit herausforderndem Lächeln im Türrahmen und signalisierte, dass sie die Frage nach dem Woher selbstverständlich nicht zu stellen brauchte, da ihr Sohn ihr sowieso alles erzählen würde.
    »Wir haben einen Job«, antwortete ich. »Wir haben eine Stange Amis geliehen von jemandem, der ein Lager hat. Ein Lager in einer Ruine. Einer Ruine in der Bahnhofstraße«, fügte ich portionsweise alles hinzu, von dem ich wusste, dass es Bestandteil nächster Fragen sein würde.
    »Wer soll denn das sein?«, fragte Ooti erstaunt.
    »Er heißt Herr Goldstein«, antwortete ich.
    Der Schock auf den Gesichtern der Erwachsenen fuhr mir in die Knie. »Kennt ihr den etwa?«
    Eine Welle der Enttäuschung rollte über mich hinweg. Es wäre ja auch zu schön gewese n … ein Job, ein Abenteuer, die Aussicht, jeden Tag etwas zu essen nach Hause zu bringen!
    Seltsamerweise antworteten sie nicht, sondern sahen sich nur betreten an.
    »Wird einer von den DPs sein«, sagte der arme Leo gedämpft zu meiner Mutter. »Die traut sich keiner zu verhafte n … die Alliierten sollen sogar mit drinhänge n …«
    »Alice, da gehst du mir nicht mehr hin«, bestimmte Mem entsetzt.
    »Aber

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