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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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ein paar Pfennige für zwei Briefmarken und einen Bogen Papier, den ich zur Hälfte teilte. Dann schrieb ich in meiner schönsten Handschrift zweimal denselben kurzen Text:
    Sehr geehrter Herr Geiger/sehr geehrte Frau Wertheim, Herr Daniel Goldstein ist am 2.6.46 leider in Hamburg verstorben. Möchten Sie seine Fotos und einige Briefe haben, die Sie ihm geschrieben haben? Sie sind jetzt bei mir. Mit vielen Grüßen, Alice Sievers.
    PS: Sonst habe ich nichts aus Herrn Goldsteins Besitz weggenommen!
    Gibt es Zufälle? Ich bin nicht überzeugt, obwohl Henry die Existenz von Zufällen allein dadurch schon zwingend nachgewiesen sieht, dass es das entsprechende Wort gibt. Wäre es Zufall gewesen, dass Henry und ich die Nacht zum achtzehnten April des vergangenen Jahres bei Ooti verbracht hatten, dann hieße das für mich nichts anderes, als dass auch alles, was daraus entstand, banal und zufällig gewesen wäre, und ich möchte mir einbilden, es hätte wenigstens einen besseren Grund gehabt.
    Ootis Wohnzimmer, in dem wir auf dem ausgeklappten Sofa schliefen, lag schräg gegenüber der Apotheke, und als wir gegen halb sechs von Gewehrschüssen, polternden Stiefelschritten und dem Licht von Taschenlampen geweckt wurden, das durchs Zimmer zuckte, dachten wir im ersten Augenblick, die Tommys wären gelandet.
    Überstürzt purzelten wir links und rechts vom Sofa und gingen in Deckung, dann hörten wir Befehle auf Deutsch und das harte Schlagen von Holz gegen Holz.
    Im Halbdunkeln fischte ich nach meiner Krücke, Henry kroch zum Fenster und richtete sich vorsichtig auf. »Die riegeln die Straße ab!«, flüsterte er.
    Ich rutschte auf dem Fußboden zu ihm hinüber, um mich am Fensterbrett hochzuziehen. Zu meinem Entsetzen sah ich mehr als ein Dutzend Soldaten im Laufschritt über die Straße eilen und vor den Häusern Aufstellung nehmen. Erschrocken flohen wir nach links und rechts hinter die Wand, als von der Seite ein Schatten auftauchte, ein Soldat sich vorbeugte und zwischen uns hindurch ins dunkle Wohnzimmer starrte!
    Ich muss komplett aufgehört haben zu atmen. Endlich drehte der Soldat sich wieder um und blieb mit dem Rücken zum Fenster stehen, gleich darauf huschte auch schon Ooti ins Zimmer.
    »Ausgangssperre«, flüsterte sie. »Die ganze Insel. Was ist da bloß vorgefallen?«
    Wir versuchten an dem Soldaten vorbei zu erkennen, was vor sich ging. In meinem dünnen Nachthemd klapperte ich von den Zähnen bis zu den Zehen, aber vom Fenster wegzugehen und mich anzuziehen wagte ich auch nicht.
    Gegenüber hämmerte ein Gewehrkolben an die Tür der Apotheke. Als der Apotheker endlich öffnete, gab es einen Wortwechsel, dann drängten die Soldaten an ihm vorbei ins Haus, holten einen der Mieter heraus und schubsten ihn die Straße entlang. Nach ihm wurden noch andere an unserem Fenster vorbeigeführt, wir erkannten Erich Friedrich, der von allen nur »Erk Fink« genannt wurde, und kurz darauf auch den Inselkommandante n – in Handschellen!
    Und dann sahen wir ihn. Vor der Apotheke gab es, als die Soldaten schon abziehen wollten, mit einem Mal hektische Rufe, vier oder fünf Mann stürmten gleichzeitig noch einmal ins Haus, und als sie Minuten später herauskamen, hatten sie ihn in ihrer Mitte. Der Mann trug keine Handschellen, aber es war offensichtlich, dass er verhaftet worden war; er wurde geschubst und getreten, die Soldaten prügelten ihn geradezu an uns vorbei.
    »Den kenne ich! Den habe ich schon mal gesehen!«, flüsterte Henry.
    Dann wurde es still auf der Straße, nur einige wenige Soldaten blieben auf ihren Posten zurück, um Helgoländer, die sich hinauswagte n – darunter den erschrockenen Grofoor Krüss, der frühmorgens in der Biologischen Anstalt Licht und Heizung einschaltet e – mit vorgehaltenem Gewehr wieder in ihre Häuser zu scheuchen. Erst um acht, als die Ausgangssperre aufgehoben wurde, wurde in Mems Laden flüsternd darüber geredet, was wohl passiert sein mochte.
    Die Besatzung überwältigen und die Insel kampflos übergebe n … Zivilisten und Offiziere, schon seit einigen Wochen in Verdach t … Absprachen mit den Engländern über ein Funkgerät in der Wohnung über der Apothek e …
    Als einige Marinehelfer hereinkamen, um Lakritzstangen und Postkarten zu kaufen, stockte das Gespräch, um gleich darauf wieder aufgenommen zu werden: »Einer soll kalte Füße bekommen und den Plan verraten haben!«
    »Nein, ich habe gehört, es war ganz anders. Es ist ein Funkspruch abgefangen worden und

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