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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Gedichtband und sorgte dafür, dass ihr halbvolles Seltersglas, das im Gras gestanden hatte, umfiel. So vergingen die Sekunden.
    Schneeganß und Hinz hatten nicht die Antennen, dies alles in seiner tieferen Bedeutung aufzufangen. Nach einigen einleitenden Floskeln kamen sie schnell zum Eigentlichen.
    »Es tut mir leid, Frau Wiederschein«, sagte Hinz. »Ich bewundere Sie als Schauspielerin, aber wir müssen eben, wie es unsere Pflicht ist, jedem Hinweis nachgehen …«
    »Ja, und?«, fragte Angela Wiederschein.
    »Jemand will Sie am Morgen des 19. Juni oben am Oder-Havel-Kanal beim Joggen beobachtet haben, kurz nachdem der Porsche von Siegfried Schulz im Kanal gelandet ist.«
    Angela Wiederschein lachte so laut, dass Carola Laubach nebenan böse guckte. »Wie denn? Wie heißt das bei den Esoterikern: Bilokation, dass man zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten sein kann. Nein, im Ernst: Ich habe hier oben im Haus im Bett gelegen, und tief und fest geschlafen. Ich bin ja erst kurz nach Mitternacht von meiner Theatergruppe zurückgekommen und war völlig fertig. Fragen Sie meinen Mann. Freddie und Gudrun werden das auch bestätigen können.«
    Die beiden Angestellten zögerten keinen Augenblick, dies zu bezeugen, und als Schneeganß und Hinz wieder im Auto saßen, fühlten sie sich so wie nach einer Hertha-Niederlage im Olympiastadion.
    »Das macht mir alles keinen Spaß mehr«, murrte Schneeganß.
    »Wir werden ja auch nicht dafür bezahlt, bei der Arbeit Spaß zu haben«, sagte Hinz.

     
    *

     
    Carola Laubach war der geborene Misanthrop. Sie wusste das auch, und immer wieder gab es Phasen in ihrem Leben, in denen sie versuchte, dagegen anzugehen. Wie jetzt, als Siegfried Schulz verschwunden war – und sie gesehen hatte, wie ihr Nachbar des Nachts etwas in seinem Garten vergraben hatte … Eine Leiche vielleicht? Wenn das nun Schulz gewesen war, zuvor ermordet von Wiederschein …? Mit oder ohne Wissen seiner Frau. Möglich war in diesen Zeiten alles. Aber man hatte Schulz am frühen Morgen in seinen Porsche steigen sehen – wie das, wenn er vorher ermordet und bei Wiederschein unterm Kirschbaum verscharrt worden war? Eine Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Das hinderte sie daran, zur Polizei zu laufen, denn vielleicht war es nicht gut, sich die Wiederscheins noch mehr zu Feinden zu machen.
    Schulz war und blieb verschwunden – und wenn er nun doch bei Wiederschein drüben unterm Kirschbaum lag …? Aber er war am nächsten Morgen fortgefahren. Das ließ Carola Laubach nicht los, und es arbeitete in ihr, Tag und Nacht. Immer wieder dasselbe, wie früher eine Schallplatte, die einen Sprung hatte. Erkläret mir, König Örindur, / Diesen Zwiespalt der Natur. Das ging ihr immer wieder durch den Kopf, aber auch Goethes: Wir sind so klug, / und dennoch spukt’s in Tegel . Angenommen, drüben hatten sie ihren Onkel umgebracht, aus welchen Gründen auch immer, und Wiederschein hatte die Leiche bei sich im Garten vergraben, wie konnten ihn dann Leute wie Pfarrer Eckel, die über jeden Verdacht erhaben waren, am Morgen noch höchst lebendig gesehen haben? Vielleicht hatten sie einen Doppelgänger engagiert …? Das erschien Carola Laubach die wahrscheinlichste Lösung zu sein. Es gab so viele arme Teufel in der Stadt, auch unter Schauspielern, die alles taten, wenn man ihnen 5.000 Mark in die Hand drückte. Dann hatte Wiederschein also den perfekten Mord begangen. Glaubte er jedenfalls … Es wäre einer gewesen, wenn sie ihn nicht beim Graben gesehen hätte.
    Lass die Toten ruhen, misch dich da nicht ein! Das war die eine Stimme in ihr, aber da war auch noch eine andere – und die befahl ihr: Melde dich bei der Polizei und lass sie nachsehen, ob Schulz drüben unterm Kirschbaum liegt.
    Und vielleicht hätte sie bis ans Ende ihrer Tage geschwiegen, wenn ihr nicht beim Spazierengehen auf den Brachen zwischen Frohnau und Stolpe auf Höhe des Pechpfuhls Axel Siebenhaar über den Weg gelaufen wäre, ihr Dorfgendarm, wie sie ihn nannte. Da fiel ihr sofort wieder ein, was Schiller den Marquis im ›Don Carlos‹ sagen ließ: Den Zufall gibt die Vorsehung – zum Zwecke / Muß ihn der Mensch gestalten .
    »Na, heute ohne Uniform? Als Zivilfahnder also …?«
    Siebenhaar lachte. »Nicht hier im Brandenburgischen. Ich gehe schlicht und einfach als Privatmann spazieren.«
    Carola Laubach tat geheimnisvoll. »Dann kann ich Ihnen also gar nicht erzählen, was ich Ihnen erzählen wollte …?«
    »Worum geht es

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