Unterm Kreuz des Südens. Eine australische Familiensaga
tief Luft, schloss ihre Augen und sagte ohne Umschweife: „Neil ist in eine Art Lehre geschickt worden!“
„Waas, das verstehe ich nicht ganz. Du machst doch jetzt einen Scherz mit mir?“ Sabrinas Augenlider zuckten nervös.
„Nein, er soll an einer Wanderung durch das Outback teilnehmen, um die Lebensweise und vor allem die Mythen seines Volkes kennen zu lernen. Der Stamm der Bundjalung ist zur Wanderung auf seinen Traumpfad gegangen. Dort soll er alles lernen.“
Puterrot im Gesicht und innerlich sehr aufgeregt wollte nun Sabrina wissen: „Und wie lange soll das dauern?“
„Ich weiß es wirklich nicht, Sabrina. Neil sagte nur, dass es sicher nicht länger als zwei, drei Wochen dauern wird. Aber nach allem, was ich bisher über solche Wanderungen gehört habe, kann es Monate“, und immer leiser werdend „oder gar Jahre dauern.“
Mit Tränen in den Augen fragte Sabrina: „Cecilia, wenn ich dir jetzt eine Frage stelle, wirst du mir dann die Wahrheit sagen, auch wenn meine Mum dir etwas anderes aufgetragen hat?“
„Falls du dann die Wahrheit für dich behalten kannst, ja.“
Sabrina nickte. „Hat man ihn weggeschickt, weil ich mit ihm ein intensives sexuelles Verhältnis begonnen hatte?“
Es dauerte eine Weile bis Sabrina die Antwort erhielt.
„Ja, alle meinten, es wäre das Beste für euch beide.“
„Wann hört es endlich auf, dass andere meinen, was das Beste für mich ist. Ich bin doch alt genug, um für mich selbst zu entscheiden.“
„In Bezug auf die Liebe, Sabrina, ist man nie alt genug. Und Neil ist zurzeit noch ein Kind. Deine Mum hat zehn Jahre auf ihre Liebe warten müssen, da wirst du doch einige Monate warten können. Wobei du den Vorteil hast, dass du weißt, wo dein Liebster ist. Deine Mum wusste es nicht, und trotzdem hatte ihre Liebe Bestand …“
Sabrina hielt sich die Ohren zu. „Ja, ja, ja, dass war aber ihr Leben und sie hatte sich damals so entschieden. Sie war zu stolz, um Kevin ins Outback zu folgen. Sie hatte ihn mit Absicht zappeln lassen, und als die Dinge anders verliefen, als sie geplant hatte, war es zu spät. Hinterher hätte sie liebend gern alles ungeschehen gemacht. Ich würde niemals so handeln. Warum zwingt sie uns nun dazu, dass wir genauso leiden wie sie?“
Mit leise einfühlsamer Stimme sprach Cecilia weiter. „Sabrina, nutze die Zeit, für dich und deine berufliche Entwicklung. Ihr werdet beide davon profitieren. Euer ganzes Leben liegt noch vor euch, ihr verpasst doch nichts.“
Dabei stand Cecilia auf, hockte sich vor den Stuhl, auf dem die weinende Sabrina saß, und nahm sie in ihre Arme, um sie zu trösten.
Um Sabrina auf andere Gedanken zu bringen, hatte Cecilia eine Idee.
„Weißt du was, wir werden heute ein Picknick machen. Ich packe einige leckere Sachen ein – ich habe einen wunderbaren Kuchen gebacken – dann schnappen wir die Kinder und suchen uns einen schönen Platz am Fluss. Was hältst du davon?“
Sie schaute Sabrina an und hob mit ihrem Zeigefinger ihr Kinn nach oben, damit sie ihr Gesicht sehen konnte. Die Augen und die Nase waren vom vielen Weinen angeschwollen.
„Hmm“, machte Sabrina schluchzend.
Und sie hatten wirklich noch einen schönen Nachmittag, wobei Sabrina sogar öfters herzlich lachen konnte.
Der Zeuge
Schon am Morgen war die Hitze fast unerträglich. Aber das Gerichtsgebäude war zum Glück ein altes Haus mit dicken Mauern. Darin war es angenehm kühl.
Die Verhandlung war öffentlich. Es hatte demnach jeder Zutritt, der sich irgendwie für diesen Fall interessierte.
Der Anwalt Mr. Williams und auch Franziska hofften insgeheim, dass sich dadurch vielleicht noch Zeugen finden würden, die den Vorgang vor neun Jahren bezeugen konnten und somit den entsprechenden Beweis lieferten, dass Kevin einem Intrigenspiel zum Opfer gefallen war. Wie sollten sie sonst beweisen, dass er unschuldig war?
Der Richter trat mit seinem Gefolge ein, und plötzlich wurde es ganz still im Saal. Er klopfte mit einem Hämmerchen auf das Pult und eröffnete somit die Verhandlung.
Kevin wurde in Begleitung von zwei Polizisten hereingeführt. Sein Blick glitt über den Zuschauerraum. Als er in der ersten Reihe gefunden hatte, was er suchte, verharrte sein Blick. Für einen Moment sahen sie sich an. Ein Lächeln huschte über beide Gesichter.
Nach zwei Stunden ging das oberste Gericht in die erste Pause.
Auf dem Flur traf Franziska Mr. William. „Was meinen Sie, Mr. Williams“, fragte Franziska scheu, „haben wir eine
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