Unterm Kreuz des Südens. Eine australische Familiensaga
war. Dieses Phänomen stellt man oftmals bei Todgeweihten fest. Sie dachte an ihre Kinder, die sie in Jürgenstorf zurückgelassen hatte, zurück in ihren kalten Gräbern. Sie dachte an die Zeit im Waisenhaus, wie sie dort Martin kennen und lieben gelernt hatte. An das Abschiedsfest und die Tränen, die alle weinten, als sie nach der Trauung in der Kirche weggefahren waren. An ihr kleines Häuschen und mit wie viel Liebe Martin die zwei Zimmer eingerichtet hatte, und an die Hoffnung, die Peter ihnen machte, als er von Australien sprach. An ihre Gedanken, die sie in Bremerhaven hatte, als das Schiff ablegte, dass sie kein Opfer mehr der Kälte geben würde. Auch an die Kabinennummer, – demnach brachte die Nummer „13“ doch Unglück. Ein angenehmer Wind wehte durch Franziskas Haar. Aber sie nahm ihn nicht wahr. Automatisch kam ihr der Gedanke, Martin könnte frieren, also deckte sie ihn zu. Sie bemerkte jedoch gleich, wie absurd der Gedanke war und küsste ihn unter Tränen. „Martin, warum lässt du mich allein, wie soll ich das schaffen, machst du dir gar keine Gedanken darüber, was aus uns werden soll, das ist so unfair von dir.“
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. „Er hat sich Sorgen um Sie gemacht.“
Es war ihr gar nicht bewusst geworden, dass sie laut gesprochen hatte. „Ich weiß“, schluchzte Franziska und legte ihren Kopf an die Brust des Kapitäns.
Er gewährte es ihr. Etwas später fasste er sie an den Schultern, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. „Frau Winter, ich möchte nicht unverschämt wirken, aber bei der Hitze, die wir morgen früh wieder erwarten, wird es wohl das Beste sein, wenn wir uns noch in dieser Nacht für eine Seebestattung entscheiden.“
Franziska nickte nur und setzte sich wieder zu ihrem Mann und schaute abwesend den Vorbereitungen zu. Dann wurde ihr Martin in ein Leichentuch gewickelt, und man beschwerte ihn mit Gewichten, damit er auf dem Meeresgrund liegen blieb. Sie schaute in den Sternenhimmel, denn im Waisenhaus hatte man erzählt, dass liebe Menschen in den Himmel kommen. Vielleicht kann sie seine Reise beobachten? Aber wie soll er in den Himmel kommen, wenn er mit Steinen beschwert wurde und diese ihn auf den Grund des Meeres hielten? Ihr fiel ein, dass Peter erzählt hatte, südlich des Äquators wäre der Sternenhimmel anders als über Deutschland. Vielleicht verirrt sich Martin, weil er ihn nicht kannte. Der Mond war in voller Größe zu sehen und leuchtete wie eine Laterne, wie ein Licht für Martin. Kapitän Ignatz hielt die Totenmesse. Alle Matrosen, die dienstfrei hatten und sogar die Familie Bergmann, die mit ihnen an Bord gekommen waren, gaben Martin die letzte Ehre. Es war eine eigenartige Familie. Sie waren immer in ihrer Kabine. Nur selten bekam man jemand zu Gesicht, und man konnte auch mit ihnen nicht sprechen, sie wichen dann immer aus. Als Martins Körper auf die Wasseroberfläche glitt, wurde Franziska aus ihren Gedanken geholt. Sie sah auf das schwarze Meer, das den Leichnam langsam in sich zog. Durch den hellen Mondschein konnte man die weiß eingewickelte Gestalt auch unter Wasser ein Stück beobachten. Aber im nächsten Moment war nichts mehr zu sehen. Franziska bückte sich weit über die Reling und rief: „Martin, Martin, lass mich nicht allein, ich brauch dich doch.“
Der Kapitän schloss sie tröstend in seine Arme, und sie weinte lange, bis keine Tränen mehr vorhanden waren.
Als am Horizont die Sonne aufging, legte sie sich in den Liegestuhl, in dem Martin gestorben war. Sie wollte nicht in die Kabine gehen, sie brauchte jetzt frische Luft, um weiter atmen zu können.
Am Morgen, als Sabrina wach wurde, stellte sie fest, dass schon in der Nacht ihre Eltern nicht im Bett waren und jetzt auch noch nicht. „Mami ist sicher bei Papi, weil es ihm so gut an der frischen Luft gefallen hatte. Ich ziehe mich an und wecke die beiden“, plapperte Sabrina laut vor sich hin. Sie zog ihr Kleidchen an und ging die Treppe hoch, die zum Freideck führte. Sabrina sah nur ihre Mami im Liegestuhl schlafen. Sie rüttelte sie am Arm. „Wo ist Papi?“
Franziska setzte sich auf und war für den Moment wie benommen. Als sie ihre Gedanken geordnet hatte, nahm sie ihre Tochter in die Arme. „Sabrina, Papi ist weg. Er kommt nicht wieder zu uns.“
Sabrina spürte, dass etwas nicht stimmte, Mami konnte nicht richtig reden, da sie weinte.
Franziska sprach unter Tränen weiter: „Er ist jetzt im Himmel und von dort passt er auf uns auf. Er
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