Unterm Messer
brauchen etwas Zeit, um noch an wichtiges Material zu kommen.“ Ich sehe sie dankbar an. Überzeugender und seriöser geht es nicht. Vesna nickt zustimmend, aber ich sehe, dass sie dabei die Stirn runzelt. Ist Nat vielleicht zu gut zu uns? Was steckt dahinter? Oder vermuten wir jetzt schon hinter jeder Ringelblume einen gentechnisch veränderten Kampfstoff?
Das duftende Bauernbrot, die köstliche Butter. Heute ist alles an mir verschwendet. Ich habe keinen Hunger und trinke nur zwei Tassen Kaffee. Oder vielmehr ein Heißgetränk, das entfernt an abgestandenen Kaffee erinnert. Egal. Die zwei Chinesen sind vor zehn Minuten abgefahren. Ich muss darauf achten, ihnen nicht in der ,Beauty Oasis‘ zu begegnen. Den Russen hat Vesna dabei beobachtet, wie er ganz zeitig in der Früh hinunter zum Bauernhof gegangen ist. Tiere spritzen? Mäuse füttern? Oder ist er auf der Suche nach dem Laptop? Sie müssen die Daten anderswo abgespeichert haben. Der Laptop war leer. Zumindest für solche, die keine Computerexperten sind. Und: Schläft Vesna nie? „Schlafe bloß zu richtigem Zeitpunkt“, hat sie geantwortet und sich noch ein Marmeladebrot geschmiert. Mein Auto haben wir gestern Nacht vom Burgparkplatz geholt und in einer ruhigen Seitenstraße gleich beim Wald geparkt. Ich bin nervös. Ich gebe es zu. Eigentlich haben wir Material genug. Sowohl um es der Polizei zu präsentieren als auch um daraus eine ,Magazin‘-Story zu basteln, die viele verblüffen wird. Aber: Noch immer ist nicht klar, wer Schwester Cordula und Schilling ermordet hat. Wer ist der „liebe Mensch“, der doch keiner war?
Natalie Veith will noch heute mit den Triathleten nach Wien fahren und auf der Medizinuni erste Checks machen. Vesna fährt mich zu meinem Auto, küsst mich beim Abschied auf die Wange. Ich sehe sie erstaunt an.
„Ist nur zum Glückwünschen“, murmelt sie dann. Sie wird etwas später starten und versuchen in meiner Nähe zu bleiben. Mit mir verbunden durch einen kleinen Sender, den ich in der Hosentasche habe. Und durch ein noch kleineres Mikrofon am Hosenbund. Mein weites T-Shirt sollte alles gut verdecken.
„Im schlimmsten Fall werde ich massiert“, antworte ich und versuche ein Lächeln. Meine Nackenmuskeln verspannen sich.
Ich fahre den mir inzwischen wohlbekannten Weg entlang. Maisfelder und Weinhügel und Obstgärten, Blumen am Wegrand, Menschen auf Rädern, die Burg, die schon seit Jahrhunderten über dem Vulkanland steht. Großes Hinweisschild mit: ,Beauty Oasis‘ , ganz kleines Hinweisschild mit: „Kloster der Hildegard-Schwestern“.
Ich fahre am Klostergebäude vorbei, die Tür ist zu, die Gartentür auch. Niemand zu sehen. Ich biege auf den Parkplatz der ,Oasis‘ ein. Ich bin die Journalistin Mira Valensky, der niemand verbieten kann, sich nach all der Aufregung der letzten Tage eine Massage zu gönnen. Ein weißer BMW in der letzten Reihe, halb verdeckt durch einen überhängenden Busch. Ich setze die große dunkle Sonnenbrille auf. Sieht in dieser Umgebung gar nicht seltsam aus. So laufen hier fast alle herum, die sich rund um die Augen haben verjüngen lassen. Ich nehme meine Tasche, hänge sie um, steige aus und verbiete mir, zum BMW zu gehen und nachzusehen, ob das Kennzeichen passt. Ist jetzt nicht so wichtig. Ich gehe Richtung Foyer, beobachte eine Frau mit mindestens gleich großen Brillengläsern, wie ich sie habe, die sichtlich beschwingt die Klinik verlässt. Hinter ihr der Hausdiener mit einem Wagen voller Gepäck. Ist sie so gut gelaunt, weil sie Grünwalds Oase hinter sich hat oder weil sie jetzt, runderneuert, Eindruck machen wird? Sie kommt mir bekannt vor. Ich und mein mieses Personengedächtnis ... Trotzdem, ich bin beinahe sicher: Das ist doch die Witwe dieses Großindustriellen. Treibt sich die nicht sonst vor allem am Wörthersee herum? Wäre ich eine Paparazza oder auch nur so dienstbeflissen, wie ich es als ,Magazin‘-Redakteurin sein sollte, ich würde versuchen, von ihrem Auszug aus der Schönheitsklinik ein paar Fotos zu schießen. Aber es ist eine andere Story, die mich interessiert. Ich betrete die Halle, biege vor dem Empfangsdesk rechts ab Richtung Lift. Natürlich hält mich niemand auf. Frau mit großer Brille, ein Gast, der seinen Schlüssel hat und aufs Zimmer will. Oder an die Bar. Oder eben in den Wellnessbereich. Trotzdem bin ich erleichtert, als ich allein in der Klimt-Liftkabine stehe und den Knopf für das Stockwerk minus zwei drücke. Jetzt muss es schnell gehen: Tasche
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