Unterm Messer
Außerdem: Sie hat in der Einzahl gesprochen. Hat zumindest Schwester Gabriela so erzählt. Sie hat uns schon viel erzählt. Und noch mehr verschwiegen. Wenn Nat es schafft, heute mit dem Triathleten zu reden, dann haben wir ein Puzzleteilchen mehr.
Plötzlich etwas über mir, es wirft seinen Schatten auf mein Gesicht. Ich reiße die Augen auf. Und blicke in das Gesicht meiner Freundin. „Hast ausgesehen, wie wenn du bist tot“, sagt Vesna. „Wenigstens für Augenblick.“
Ich will gar nicht wissen, wie ich da aussehe. Ich rapple mich auf und ziehe den Bauch ein. Neben Vesna komme ich mir immer fett vor. Ich sollte keinen Bikini tragen. Ein Badeanzug verbirgt ... Doch die Sonne auf dem Bauch, die tut gut. Also: Wer mich nicht ansehen will, soll es nicht tun. Punkt. Und wenn ich mich nicht ansehen will, muss ich es auch nicht tun. Na ja — nennt man das „in Würde altern“? Aber ich kann es ja noch lernen, so alt bin ich schließlich noch nicht.
„Ringelblumencreme in Rezeption von ,Beauty Oasis‘ ist aus“, berichtet Vesna. „Sie haben nur mehr Ausstellungsstück in Schaukasten, aber das wird nicht verkauft. Sam Miller fliegt übermorgen nach USA, das habe ich von Fitnesstrainerin. Ob er noch irgendwo Cremes hat, sie hat nicht gewusst. Und ihn selbst ich habe nicht fragen wollen, ist zu auffällig. Das kannst dann du. Morgen ist letzte Gelegenheit, wenn du willst mit ihm reden. Ich habe Bademantel für dich. War kein Problem, liegen in Stapeln in Raum mit Bettwäsche und Seifen und so. Dann war ich in Gang bei Labor, aber plötzlich sind chinesische Forscher gekommen, ich habe umgedreht, dumm, wenn mich die als Gast in Tante-Pension wiedererkennen. - Und was hast du gemacht?“
„Ich hab meinen Chefredakteur auf morgen vertröstet“, murmle ich. Hört sich im Vergleich zu dem, was Vesna getan hat, nicht eben nach viel an.
„Kann ich nicht mehr lange bleiben“, sagt Vesna ungeduldig. „Im August bei mir in Firma ist zwar nicht viel los, aber muss man doch organisieren.“
„Und ich muss morgen meinem Chefredakteur so viel liefern, dass er entscheiden kann, ob die Story einen Aufmacher wert ist.“ „Schon alleine Mäusefotos sind gut“, tröstet mich Vesna.
Aber zu wenig.
Es dauert jedoch nicht lang und wir wissen, dass wir mehr erfahren werden. Wir haben es Nat zu verdanken. Sie hat sich mit Harald Fandl, dem Triathleten, getroffen. Und sie hat ihn davon überzeugt, dass es besser sei, er erzähle seine Geschichte nicht nur ihr, sondern auch uns. Zuvor will er allerdings noch mit seinen Kollegen aus dem Team sprechen. Ist verständlich. Hoffentlich überreden sie ihn nicht, doch zu schweigen. Aber: Krebs ist ein verdammt gutes Argument, mit dem Doping Schluss zu machen. Vor allem könnte es ihm gelingen, seinen Mitsportlern klarzumachen, dass es auch sie treffen kann.
Es ist gegen acht, als Nat uns noch einmal anruft. Wir sollen zu der Garage kommen, in der das Triathlon-Team die Räder eingestellt hat. Neben Harald Fandl werden noch zwei aus der Mannschaft da sein. Vesna programmiert ihr Navi — was haben wir früher bloß ohne GPS gemacht? - und wir fahren los. Prognostizierte Fahrzeit: sechzehn Minuten. Unter einer Viertelstunde ist von unserem Platz hinter den Hügeln, oder wie Vesna meint, „von Hintern von Vulkanwelt“, nichts erreichbar.
Nat sitzt mit den drei Triathleten an einem Heurigentisch vor der Garage. Sie könnte locker als Mitglied des Teams durchgehen. Die drei Männer tragen dunkelgrüne Kappen mit der Aufschrift: „Beauty&Young“. Nicht zu erkennen, wer der Krebspatient ist. Ja, man sei übereingekommen, alles, was man wisse, zu erzählen. Kein Problem, ich könne es aufnehmen. Und falls wir ein Foto machen wollten: Die Kappen hätten sie extra dafür aufgesetzt. Zum letzten Mal.
„Ich habe mich natürlich erkundigt. Ich weiß, wer Dr. Natalie Veith ist. Und dass ich dem trauen kann, was sie sagt“, meint ein Mann um die fünfunddreißig und lächelt Nat an. Sieht aus, als hätte er auch abseits der Triathlonstrecke einiges zu melden.
„Herr Hager ist bei der Bezirksverwaltung. Er ist Jurist“, erklärt Nat.
Dass sich so einer auf dubiose Spritzenkuren einlässt?
Er scheint Gedanken lesen zu können. „Ich wollte endlich weiterkommen. Wir waren alle echt gut, haben auch wie die Irren trainiert, aber es hat nie ganz gereicht. Sport war mir immer extrem wichtig. Und nach der Scheidung noch einmal mehr. Ich hatte so viel Zeit. Und Willen, hineinzubeißen
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